Ist die Globalisierung erledigt?

Im Mai 2022 sagte der CEO von BlackRock, dass „die russische Invasion in der Ukraine der Globalisierung, die wir in den letzten drei Jahrzehnten erlebt haben, ein Ende gesetzt hat“. Er hat zweifelsohne Recht. Der Krieg in der Ukraine hat die seit jeher brodelnden Konflikte zwischen den Großmächten auf die Spitze getrieben.

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Diese Entwicklung braucht eine Erklärung. Die bürgerlichen Journalisten und Berichterstatter beklagen unseren bevorstehenden Untergang und die Kurzsichtigkeit der Politiker. Aber dieses Händeringen ist wenig sinnvoll. Man kann die Welt nicht ausgehend von „politischen Entscheidungen“ und ähnlich nutzlosen Begriffen verstehen. Stattdessen müssen wir versuchen, die Zusammenhänge zu verstehen, in denen der Freihandel (welcher der eigentliche Inhalt der Globalisierung ist) und der Protektionismus entstehen. Globalisierung muss als Prozess verstanden werden, der durch bestimmte Bedingungen ausgelöst wurde; Bedingungen, die es nicht mehr gibt.

Wie der globale Handel die Welt verändert hat

In den frühen 2000er Jahren waren Globalisierung und Freihandel in Mode. Liberale und Konservative beteten gleichermaßen Adam Smith an. „Der Wohlstand der Nationen“ galt als das fundierteste Werk, welches jemals geschrieben wurde. Ihre Verehrung des Freihandels hatte eine gewisse Begründung. Der globale Handel hatte die Welt verändert und das zum Besseren. Die Produktivkräfte haben die Grenzen des Nationalstaats gesprengt. Die Welt wurde auf eine völlig neue Art und Weise vernetzt. Lieferketten haben Nationen, Industrien und Arbeiter auf der ganzen Welt miteinander verbunden.

Mit dem Wachstum des globalen Handels ist auch die Produktivität gestiegen. Die Industrien in den fortgeschrittenen Wirtschaften produzierten immer fortschrittlichere Waren. Selbst ehemalige Kolonialländer begannen bedeutende Industriestandorte zu entwickeln, insbesondere natürlich China, ein Land, auf das wir später noch zurückkommen werden.

Wie Adam Smith vorhergesehen hatte, machte der Welthandel Rohstoffe günstiger, indem er die Produktion oder den Abbau dorthin verlagerte, wo sie am zugänglichsten waren. Warum nicht Eisen im australischen Outback abbauen, wo es nur 30 Dollar pro Tonne kostet, anstatt in China für 90 Dollar pro Tonne?

Ebenso konnte die moderne Technologie nur durch die Kombination aller Ressourcen der Welt entstehen. Kobalt ist ein gutes Beispiel. Die Hälfte der weltweiten Reserven und der Produktion befindet sich in der Demokratischen Republik Kongo. Ein Drittel des weltweiten Nickels wird in Indonesien produziert und die Hälfte des weltweiten Lithiums in Australien. Diese Materialien sind essenzielle Bestandteile von Lithium-Batterien.

Außerdem lassen sich durch die Konzentration der Produktion in riesigen Fabriken, die dem Weltmarkt dienen, enorme Größenvorteile erzielen. Die iPhone-Fertigungsstraße von Foxconn in Shenzhen ist beispielsweise in der Lage 100.000 iPhones pro Tag zu produzieren. Das ist weit entfernt von den Anfangsjahren des Kapitalismus, als die Produktion noch von Handarbeitern durchgeführt wurde, die nur durch ihre Muskeln und ihr Können angetrieben wurden.

In nur 30 Jahren hat sich die chinesische Wirtschaft komplett verändert. Die Anzahl der Arbeitenden im primären Sektor (Bergbau, Landwirtschaft etc.) ist von 60 % auf 34 % gefallen, während der Anteil der Industriearbeiter von 20 % auf 34 % gestiegen ist. Das bedeutet, dass China jetzt einen der höchsten Anteile an Industriearbeitern weltweit hat. Die Wertschöpfung pro Industriearbeiter in der chinesischen Industrie hat sich zwischen 1991 und 2019 verzehnfacht, auch wenn sie nach wie vor nur ein Fünftel der von US-Arbeitern erzeugten Werte beträgt.

Die weltweite Arbeitsteilung steigerte die Produktivität massiv und ermöglichte die Produktion billiger Waren, einschließlich der Versorgung der ganzen Welt mit Mobiltelefonen. Selbst in einem armen Land, wie Indien, kommen heute 84 Mobilfunkverträge auf 100 Personen (2001 war es noch einer). Diese massive Produktivitätssteigerung in der Industrie hat es auch ermöglicht, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung seine Arbeitszeit dem Dienstleistungssektor, dem Gesundheits- und Bildungswesen sowie dem Tourismus und dem Gastgewerbe widmet.

Die gesamte Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war von einer massiven Ausweitung des Welthandels geprägt, die in den 1950er und 1960er Jahren begann und danach weiter anstieg. Im Jahr 1970 betrug der Anteil des Welthandels am Welt-BIP 13 %, d. h. etwa ein Achtel aller Waren und Dienstleistungen wurden für den Export produziert. Bis 1980 hatte diese Zahl 21 % erreicht. In den 1990er Jahren gab es einen weiteren Wachstumsschub auf 24 %, und bis 2008 erreichte es 31 %.

Mit der wirtschaftlichen Entwicklung ging die politische Entwicklung einher. Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) wurde 1947 von 20 Ländern geschlossen. In den 1950er und 1960er Jahren folgten zahlreiche weitere Abkommen zwischen den Unterzeichnern, und die Zahl der Unterzeichner stieg von 20 im Jahr 1949 über 37 im Jahr 1959 auf 75 im Jahr 1968. Zum Zeitpunkt der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 1994 zählte das GATT 128 Unterzeichner.

Die WTO selbst umfasste ein weitaus umfassenderes Handelsabkommen, das auch Dienstleistungen, einen Konfliktlösungsmechanismus, Vereinbarungen über den Schutz des geistigen Eigentums usw. einschloss. Die durchschnittlichen Handelszölle fielen von 22 % im Jahr 1947 auf 5 % zum Zeitpunkt der Gründung der WTO.

Dies wurde durch die massive Expansion der Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglicht, d. h. selbst wenn man etwas Boden an seine Konkurrenten abtreten oder einen Teil der eignen Industrie schließen musste, würde man durch den Gesamtanstieg der Weltmärkte erheblich besser dastehen. In dieser Zeit funktionierte die Dynamik des Freihandels wirklich so, wie Adam Smith und David Ricardo (der Smiths Ideen weiterentwickelte) es vorschlugen. Die sich abzeichnende Dominanz der USA über die kapitalistische Welt drängte den widerstrebenden Teilnehmern eine Freihandelsagenda auf und glättete den gesamten Prozess.

In den 1990er Jahren legte die Internationale Marxistische Tendenz (IMT) ein Dokument vor, in dem dieser Prozess erläutert wurde:

„Die Tatsache, dass wir in eine völlig neue Situation im Weltmaßstab eingetreten sind, zeigt sich an der veränderten Rolle des Welthandels. Die massive Entwicklung des Welthandels im Zeitraum 1948-73 war einer der Hauptgründe für den Aufschwung des globalen Kapitalismus in der Nachkriegszeit. Dadurch wurde der Kapitalismus in die Lage versetzt – teilweise und für eine vorübergehende Zeit – die Haupthindernisse für die Entwicklung der Produktivkräfte zu überwinden: den Nationalstaat und das Privateigentum.“ (A New Stage in the World Revolution)

Dies wurde als Globalisierung bezeichnet, d.h. eine massive Ausweitung des Weltmarktes, um die Grenzen der nationalen Märkte zu überwinden. Mit anderen Worten: die Grenzen des Nationalstaates.

Der Nationalstaat

Zu diesem Zeitpunkt ist es notwendig zu berücksichtigen, wie sich der Nationalstaat zu der Entwicklung des Kapitalismus bezieht. Als der Kapitalismus die Bühne der Weltgeschichte betrat, überwand er die regionalen, feudalen Beschränkungen, um einen nationalen Markt zu schaffen. Die Besonderheiten der isolierten Märkte im Umfeld der Marktstädte und des regionalen Kapitals wurden überwunden und die Preise wurden durch den Wettbewerb zwischen Landwirten und Unternehmen auf nationaler Ebene festgelegt. Dieser nationale Markt war der Schlüssel für die Entwicklung des Kapitalismus in den ersten Jahrhunderten seines Bestehens.

Doch als der Kapitalismus die Produktivkräfte entwickelte, wich der Wettbewerb dem Monopol. Der Handwebstuhl wich dem Maschinenwebstuhl, und die „Eintrittsbarrieren“, wie die Ökonomen sie nennen, wurden größer. Um eine Weberei zu gründen, brauchte man nicht mehr nur eine Werkstatt und einige Handwebstühle, sondern eine Fabrik, eine Dampfmaschine und Maschinenwebstühle. Die Entwicklung der Produktivkräfte, d. h. die Entwicklung neuer Technologien und ihre Anwendung in der Produktion, führt fast immer zu einer stärkeren Monopolisierung, d. h. zu einer Konzentration von mehr Kapital in den Händen weniger Kapitalisten.

Sobald die Monopole den heimischen Markt beherrscht und erschöpft haben, sind sie gezwungen, andere Absatzmärkte für ihre Produkte zu suchen. Dies führt zu einer massiven Ausweitung des Weltmarktes und des Welthandels. Aber auch das reicht irgendwann nicht mehr aus. Auch die Monopole müssen neue Absatzmärkte für ihre angehäuften Gewinne finden. Das Kapital sucht nach neuen profitablen Investitionen, die es auf den heimischen Märkten nicht mehr gibt. Dies ist der Beginn des Kapitalexports.

Das Kapital wird mit Hilfe des Finanzkapitals (Banken, Versicherungen usw.) exportiert, das den Binnenmarkt und den Weltmarkt beherrscht. Dies ist die Welt, die Lenin in seinem Werk „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ beschrieben hat. Dies ist auch die Welt, in der wir heute leben, wenn auch auf einem noch höheren Niveau.

Lenin erklärte, dass die engen Grenzen der Nation die Produktivkräfte hemmen, die jede kapitalistische Nation zu überwinden versuchen muss. Als sich die Produktivkräfte im 20. Jahrhundert entwickelten, entwickelte sich daher der Welthandel viel schneller.

Die Folgen waren gewaltig:

„Die Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung, der Abbau von Zollgrenzen und die Zunahme des Handels, insbesondere zwischen den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, wirkten wie ein enormer Stimulus für die Volkswirtschaften der Nationalstaaten. Dies stand in völligem Gegensatz zur Zersplitterung der Weltwirtschaft in der Zwischenkriegszeit, als Protektionismus und Abwertungswettläufe dazu beitrugen, den Konjunktureinbruch in eine Weltdepression zu verwandeln.“ (A New Stage in the World Revolution)

Darüber hinaus war der Aufschwung der Nachkriegszeit sowohl die Ursache als auch die Wirkung der Entwicklung des Welthandels.

Protektionismus

Protektionismus, das genaue Gegenteil von Freihandel, hat es natürlich auch durch die Geschichte des Kapitalismus hindurch gegeben, und das aus sehr guten Gründen.

Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte die britische Industrie auf dem Weltmarkt. Mit billigen Rohstoffen eroberte sie die Welt. Dies war die Ära des britischen Freihandels. Sie spiegelte sich in der Vorherrschaft der Whigs im britischen Parlament und in der Aufhebung der Zölle auf Getreide, den so genannten Corn Laws, wider. Auf diese Weise wurden die Lebensmittel für die Arbeiterklasse verbilligt, was es den Bossen ermöglichte, die Löhne niedrig zu halten.

Die Vorherrschaft der britischen Industrie stellte jedoch ein Problem für andere Nationen dar, deren Industrie weit weniger entwickelt war. Sie brauchten Mittel, um ihre Industrien vor der britischen Konkurrenz zu schützen. Wie Engels es ausdrückte, hatten diese Nationen „kein Verständnis für die Schönheit eines Systems, das Englands zeitweilige industrielle Überlegenheit in ein Mittel verwandeln sollte, ihm das Industriemonopol in der ganzen Welt und auf ewige Zeiten zu sichern“. (Engels, „Der Handelsvertrag mit Frankreich“, 1881)

In Schweden zum Beispiel wurde ein System von Exportbeschränkungen eingeführt. Die britische Industrie bezog immer größere Mengen an Rohstoffen. Die Belieferung Großbritanniens mit unverarbeitetem Rundholz, Eisenerz und anderen Mineralien würde jedoch wenig zur Entwicklung der schwedischen Industrie beitragen. Daher wurden Beschränkungen für die Ausfuhr von Roheisen, Eisenerz und Rundholz eingeführt, um sicherzustellen, dass die Verarbeitung in Schweden stattfand. Als die schwedische Metall- und Holzindustrie aufholte, wurden die Beschränkungen aufgehoben, und Schweden schloss ein Freihandelsabkommen mit Großbritannien und Frankreich ab.

In ähnlicher Weise waren die Baumwolle produzierenden Konföderierten während des amerikanischen Bürgerkriegs Befürworter des Freihandels. Sie wollten niedrigere Schranken für die Ausfuhr von Rohbaumwolle nach England. Der industrielle Norden hingegen befürwortete Schutzzölle, um seine Industrien vor ihren englischen Konkurrenten zu schützen. Die Sklaverei war also eng mit wirtschaftlicher Rückständigkeit und Freihandel verknüpft. Als die USA ihre Industrien entwickelt hatten, wurde die Bourgeoisie zu massiven Befürwortern des Freihandels.

Diese Entwicklung hin zum Freihandel verläuft jedoch nicht nur in eine Richtung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sah sich die britische Industrie einer immer schärferen Konkurrenz aus dem Ausland ausgesetzt, insbesondere aus Deutschland und den USA. Dies löste im Vereinigten Königreich einen Wandel aus. Die Tory-Partei kehrte an die Macht zurück und begann, eine zunehmend protektionistische Agenda voranzutreiben. Die so genannte „imperiale Präferenz“ wurde zu einem Mittel der Anwendung des Protektionismus. Dies bedeutete, dass die kolonialen Besitztümer Großbritanniens eine Vorzugsbehandlung für den Handel innerhalb des britischen Imperiums einführten. Diese Politik richtete sich insbesondere gegen die USA und Deutschland.

Diese Politik ging einher mit einer Tendenz zur Landnahme in den Kolonien. Lenin erläuterte diesen Prozess in seinem Werk Imperialismus. Die Konkurrenz zwischen den Monopolen verwandelte sich in eine Konkurrenz zwischen den Nationen. Um 1900 hatten die imperialistischen Nationen die Welt unter sich aufgeteilt, so dass jede weitere Expansion nur auf Kosten der anderen imperialistischen Nationen erfolgen konnte. Die zunehmenden Widersprüche zwischen den kapitalistischen Mächten – ihr Kampf um Waren- und Investitionsmärkte – führten zu wachsenden Spannungen in den internationalen Beziehungen.

Da Deutschland den kleineren Anteil an den Kolonien hatte, stieß seine Industrie an die Grenzen, die ihr durch das Fehlen von Kolonien und den Zugang zu den Kolonien anderer Nationen auferlegt werden. Die deutsche Bourgeoisie brauchte und forderte eine Neuaufteilung der Welt, die im Verhältnis zur neuen wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands stand. Als der Aufschwung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts endete, mündeten die Widersprüche in einem Weltkrieg.

Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen Wirtschaftskrise, Protektionismus, Krisen in den internationalen Beziehungen und Krieg. Wir sollten uns daran erinnern, dass der Krieg, wie Clausewitz sagte, die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln ist. Und, wie Lenin es ausdrückte, ist die Politik selbst nur konzentrierte Ökonomie.

Der Erste Weltkrieg hat keinen der Widersprüche in der Weltwirtschaft gelöst. Er verschärfte sie nur, und nach dem Krieg nahm der Protektionismus richtig Fahrt auf. Großbritannien führte 1932-33 die „Imperiale Präferenz“ ein und glich damit die Politik der Kolonien an die des Festlandes an. Im Jahr 1933 führte Präsident Hoover den „Buy American Act“ ein, der staatliche Auftragnehmer zwang, Produkte aus den USA zu verwenden. Ähnliche Maßnahmen wurden überall auf der Welt ergriffen und trugen dazu bei, dass der Welthandel in den drei Jahren nach dem Börsenkrach von 1929 um etwa 30 % einbrach.

Adam Smith sagte, dass protektionistische Nationen „alle ihre Nachbarn ruinierten“, d.h. ihre Nachbarn zu Bettlern machen würden, wovon der Ausdruck „beggar-thy-neighbour“ stammt. Smith beschrieb den Versuch, Rezession und Arbeitslosigkeit durch Export zu heilen, indem der Konsum auf im Inland produzierte Güter verlagert wird. In einer Rezession und insbesondere in einer Depression werden diese Widersprüche natürlich noch verschärft, da schrumpfende Märkte mehr ungenutzte Fabriken hervorbringen.

Protektionismus auf dem Vormarsch

Die Krise von 2007/2008 hat der weiteren Ausdehnung des Freihandels wirklich ein Ende gesetzt. Die Doha-Runde der WTO-geführten Verhandlungen war bereits in Schwierigkeiten, aber die Krise hat sie beendet. Die Verhandlungen sollten das Problem der Agrarsubventionen in Europa und den Vereinigten Staaten angehen. Nach dem Scheitern der Verhandlungen wurden nur halbherzige Versuche unternommen, sie wieder aufzunehmen. Stattdessen begann der Prozess der Zurückdrängung des Welthandels.

Oft wird Trump zugeschrieben, dass er den Protektionismus zurückgebracht hat aber er war nur der logische nächste Schritt. Obama hatte 2009 den Slogan „Buy American!“ eingeführt. Der Buy American Act war bereits seit 1933 in Kraft, wurde aber durch verschiedene Abkommen wie GATT, NAFTA und das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen erheblich aufgeweicht. Obama verschärfte das in seinem Konjunkturgesetz von 2009 und wäre in seinem Jobgesetz von 2011 noch weiter gegangen, wenn die Republikaner ihn nicht blockiert hätten. Beide Gesetze wurden von der EU und Kanada heftig kritisiert, weil sie den Freihandel untergraben.

Trump führte natürlich eine Reihe protektionistischer Maßnahmen ein, insbesondere im Bereich Stahl, blieb aber an die WTO-Bestimmungen gebunden. Biden hat einige dieser Maßnahmen, insbesondere gegen Europa, Japan und Kanada, zurückgenommen. Er ist jedoch weit davon entfernt, den Protektionismus aufzugeben, und hat versprochen, die WTO-Regeln zu „modernisieren“, d. h. sie zu verwässern, um den USA mehr Spielraum für protektionistische Maßnahmen zu geben. Die EU ist aus offensichtlichen Gründen von diesem Vorschlag alles andere als begeistert.

Bidens „Inflation Reduction Act“ (IRA) folgt dem von Obama geschaffenen Präzedenzfall. Um eine Subvention für den Kauf eines Elektroautos zu erhalten, muss man ein Auto „Made in America“ kaufen. In ähnlicher Weise müssen Investitionen in grüne Energie die Bedingungen des Buy American Act erfüllen, d. h. sie müssen ihre Rohstoffe aus den USA beziehen. Dies hat die Spannungen zwischen den USA und der EU, die das Gefühl haben, dass die USA ihre „Verbündeten“ diskriminieren, stark angeheizt. Macron forderte ein „Buy European Act“, und obwohl die Deutschen einen weniger konfrontativen Ansatz gewählt haben, haben sie die USA dennoch zu Zugeständnissen gedrängt

Der deutsche Bundeskanzler Scholtz schrieb in seinem typisch zurückhaltenden diplomatischen Stil in Foreign Affairs:

„Ich glaube, dass wir das Ende einer außergewöhnlichen Phase der Globalisierung erleben, eine historische Verschiebung, die durch externe Schocks wie die COVID-19-Pandemie und den Krieg Russlands in der Ukraine beschleunigt wurde, aber nicht ausschließlich darauf zurückzuführen ist.“

Mit anderen Worten: Die Globalisierung, wie wir sie kennen, ist am Ende, und sie wird nicht wiederkommen, eben weil sie nicht nur das Ergebnis des Krieges in der Ukraine oder der Pandemie ist.

Neben den wirtschaftlichen Kräften, die zum Protektionismus drängen, gibt es auch politische Faktoren, die mit den Auswirkungen der Krise auf die Arbeiter in den fortgeschrittenen Ökonomien zusammenhängen. Der Druck der Arbeitslosigkeit, Angriffe auf Löhne und Arbeitsbedingungen usw. haben zu einer großen Unzufriedenheit unter den Arbeitern geführt.

Die traditionellen bürgerlichen Parteien haben außer weiteren Angriffen und Sparmaßnahmen nichts mehr zu bieten. Die einzige Möglichkeit, in dieser Situation eine Basis zu finden, besteht darin, nach rechts zu rücken und sich dem Nationalismus zuzuwenden, einschließlich des Wirtschaftsnationalismus. Fahnen schwenken, Anti-Immigrations-Stimmung und Protektionismus gehen Hand in Hand und sind die einzige Möglichkeit, wie die Bourgeoisie irgendwie eine Wählerbasis zusammenschustern kann.

Trump war das offensichtlichste Beispiel dafür. Er sprach davon, die Position „der amerikanischen Arbeiterklasse“ wiederherzustellen, indem er die Einwanderung und den Außenhandel einschränkte. Eine Kombination aus „beggar-thy-neighbour“ Politik, um die Industrie im eigenen Land zu halten und die durch imperialistische Kriege und wirtschaftliche Ausplünderung verarmten Massen im Ausland fernzuhalten. Zumindest war es das, was er zu erreichen versuchte.

Der Aufstieg Chinas

Ein weiterer Druck ist der Aufstieg Chinas. Die wirtschaftliche Entwicklung Chinas war ein enormer Segen für die Weltwirtschaft. Die Öffnung der Volkswirtschaften für den Weltmarkt – in Osteuropa, aber vor allem in China – war einer der Schlüsselfaktoren für die Fortsetzung des Booms in den 1990er und frühen 2000er Jahren.

Die industrielle Entwicklung, die wir in den letzten 30 Jahren weltweit gesehen haben, fand größtenteils in China statt, welches sich zu einer neuen Weltmacht entwickelt hat. Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Arbeitsproduktivität in China jährlich um 7 bis 10 % gestiegen.

Nachdem die USA und die EU zunächst den wirtschaftlichen Erfolg Chinas bejubelt und sich auf China gestützt hatten, um sich von der Krise 2008 zu erholen, begann das chinesische Wachstum ihnen Sorgen zu bereiten. Sie begannen zu bemerken, dass chinesische Unternehmen ein ernsthaftes Interesse an Patenten und geistigem Eigentum zeigten. Das reichte von der Landwirtschaft bis zur Elektronik. Chinesische Unternehmen wie Lenovo, Geely und Huawei erwarben auch Unternehmen und Marktanteile im Westen. Und so begannen sich die westlichen Mächte Sorgen zu machen.

Bereits während der Präsidentschaft Obamas war von einem „Pivot to Asia“ die Rede, doch nach der Ankündigung des Plans „Made in China 2025“ im Jahr 2015 wurde aus Quantität Qualität. China wurde zu einer ernsthaften Sorge, und während der Präsidentschaft Trumps begannen die USA einen ernsthaften Versuch, die Entwicklung Chinas zu bremsen.

„Made in China 2025“ war eine Ankündigung an die Welt, dass China sich nicht mehr mit der Herstellung von Möbeln und Kleidung und der Montage von Elektronikbauteilen begnügen wollte. Es wollte in den fortschrittlichsten Technologiebereichen konkurrieren und seine Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten verringern.

China hat eine riesige Bevölkerung, und der Wert der gesamten Wirtschaftsleistung nähert sich inzwischen dem der USA. Die Modernisierung der chinesischen Industrie hat das Land zu einer der größten Industrienationen gemacht. Allerdings hinkt China immer noch weit hinterher. Der IWF schätzt, dass die durchschnittliche Arbeitsproduktivität in der Industrie 35 % der weltweit besten Verfahren beträgt.

Nur in den fortschrittlichsten Gebieten, wie den Städten an der Perlflussmündung, Shanghai oder Peking, erreicht man ein Pro-Kopf-BIP, das mit dem von Spanien oder Portugal vergleichbar ist. China ist nicht auf Augenhöhe mit fortgeschrittenen imperialistischen Ländern wie Deutschland, Japan oder den USA, aber es hat sich das Ziel gesetzt, dies zu werden.

Die USA setzen nun ihre wirtschaftliche und diplomatische Macht ein, um Länder davon abzuhalten, wichtige Komponenten nach China zu exportieren und Technologien wie 5G von Huawei zu kaufen. Außerdem haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Lieferketten und die ihrer Verbündeten von China zu „befreien“.

Viele ihrer Verbündeten sind von ihrem Ansatz nach wie vor nicht überzeugt. So beschloss Scholtz entgegen dem Wunsch der USA, Xi Jinping einen Besuch abzustatten. Er war entschlossen, die Streitigkeiten zwischen Deutschland und China unabhängig von den USA zu lösen. Macron verfolgt einen sehr ähnlichen Ansatz, und in dem „Abkommen“, das er nach seinem jüngsten Treffen mit Biden verkündet hat, wurde China mit keinem Wort erwähnt.

Die kleineren EU-Mächte sind unzufrieden mit der Art und Weise, wie der Konflikt mit Russland von den USA gehandhabt wird: Sie verdrehen ihre Arme, um Maßnahmen zu ergreifen, die nur begrenzte Auswirkungen auf die US-Wirtschaft haben, aber der europäischen Industrie, insbesondere der deutschen, sehr schaden. Ein anonymer hochrangiger EU-Beamter bezeichnete dies als „historischen Wendepunkt“ in den Beziehungen zwischen der EU und den USA (Europe accuses US of profiting from war - POLITICO). Die europäischen Mächte sehen nicht die Verlockung eines weiteren Handelskriegs, in dem sie sich dem Diktat der USA beugen müssen.

Die USA sind jedoch durchaus in der Lage, einseitige Maßnahmen zu ergreifen, und sie haben dies auch weiterhin getan. Sie verhängen neue Gesetze, nicht nur für US-Unternehmen, sondern für jedes Unternehmen in der Welt. Das jüngste Verbot der Ausfuhr von Maschinen zur Herstellung von Halbleitern nach China ist ein solches Beispiel. In ähnlicher Weise haben die USA im Rahmen ihrer Blockade gegen Kuba einseitig von Unternehmen in Europa, Taiwan usw. die Einhaltung der Vorschriften verlangt oder sie riskieren, ihrerseits mit Sanktionen belegt zu werden.

Der weltweit größte Hersteller von Halbleitern ist ein taiwanesisches Unternehmen namens TSMC. Es muss nun bei der US-Regierung eine Genehmigung für die Einfuhr von Maschinen für seine Werke in China beantragen. Der größte Hersteller solcher Maschinen ist ASML, ein niederländisches Unternehmen. Die niederländische Regierung führt nun Gespräche mit den USA darüber, welche zusätzlichen Hindernisse für Exporte nach China errichtet werden sollen. Die USA zwingen ihre Methoden des „Wettbewerbs“ mit China im Wesentlichen ihren Verbündeten auf.

Die USA sind nach wie vor die Supermacht, und so wie die britische Flotte 1914 eine Politik verfolgte, die darauf abzielte, eine größere Flottenkapazität zu unterhalten als die beiden größten Konkurrenten zusammen, so geben die USA so viel für ihr Militär aus wie die zehn folgenden Nationen zusammen, also 2,7 Mal so viel wie China, das an zweiter Stelle steht. In der Vergangenheit wurde diese Macht genutzt, um den freien Handel aufrechtzuerhalten. Zunehmend wird sie aber auch für das Gegenteil eingesetzt.

Diese Wende in den USA hat große Auswirkungen. Anders als in der Vergangenheit wird ihre Macht nicht mehr dazu genutzt, die allgemeinen Interessen der Kapitalistenklasse gegen die Sowjetunion oder die Weltrevolution zu verteidigen, sondern ihre eigenen Interessen gegen die anderer Großmächte. Sie haben damit die Rolle einer untergehenden Macht übernommen, die versucht, sich vor der Konkurrenz abzuschirmen, ähnlich wie Großbritannien am Ende des 19. Jahrhunderts.

Es wäre jedoch völlig falsch, Protektionismus nur aus der Perspektive der USA zu sehen. Auch die Europäische Union hat ein Interesse daran, der chinesischen Konkurrenz zu begegnen. Sie hat ihren eigenen „Chips Act“, ihre eigenen Versuche, Batteriewerke für Lithiumbatterien zu sichern, und so weiter. Die chinesische Regierung hat neue protektionistische Initiativen begrenzt, aber es gibt viele Beschwerden über inoffizielle Maßnahmen, die westlichen Unternehmen, die in China tätig sind, das Leben schwer machen sollen.

Alle diese Konflikte verschärfen sich unter dem Druck der Ereignisse. Das wird erhebliche Folgen haben. Die Umgestaltung der Lieferketten unter Umgehung Russlands und Chinas wird ungeheuer teuer werden. Der Versuch, die Mikrochip-Produktion zu verlagern, bedeutet offenbar Investitionen in  Lithographie-Systeme in Höhe von 300 Milliarden Dollar von TSMC, Intel und Samsung. Nach Angaben von ASML hat TSMC bereits Investitionspläne in Höhe von 100 Mrd. USD angekündigt. Sobald diese neuen Fabriken errichtet sind, müssen sie durch Zölle und andere Maßnahmen vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden. Dies gilt umso mehr, als sie alle wahrscheinlich die Nachfrage auf dem Weltmarkt für Halbleiter übersteigen werden, was sich auf die Preise auswirken wird. Protektionismus nährt also den Protektionismus.

Dies wird langfristige Auswirkungen auf das Investitionsniveau haben. Der IWF schätzte, dass jeder Punkt Senkung der Zölle zu einem Anstieg der Investitionen um 0,4 Punkte führte, weil die Maschinen billiger werden. Nun wird ein verstärkter Protektionismus zu teureren Maschinen und damit zu weniger Investitionen führen.

In diesem Wettstreit wird der Welthandel nicht untergehen. Wie sollte er auch? Aber er wird teurer werden, was wiederum teurere Waren bedeutet, d.h. mehr Inflation. Dem muss dann mit einer Anhebung der Zinssätze begegnet werden, um die Wirtschaft abzukühlen, was wiederum eine Rezession auslösen wird.

Warum tun sie das, könnte man fragen? Sicherlich stellt die liberale Presse diese Frage immer wieder. Dabei ist es nicht schwer, den Grund zu finden. Erstens ist es die Politik des Freihandels, die uns genau an diesen Punkt geführt hat. Der Freihandel hat die Krise nicht nur hinausgezögert, sondern auch massiv verschärft. Weder Freihandel noch Protektionismus können die Widersprüche des Kapitalismus auflösen.

Zweitens versuchen die Regierungen unter immer härteren wirtschaftlichen Bedingungen einen Weg zu finden, das politische System zu stabilisieren und dafür zu sorgen, dass die großen Monopole ihren Vorsprung vor der Konkurrenz behalten oder ausbauen. Sie versuchen, sich ein wenig Zeit zu verschaffen, damit sie sicherstellen können, dass es nicht ihr Regime ist, wenn revolutionäre Erschütterungen ein Regime zu Fall bringen. Da sie jedoch alle auf die gleiche Weise handeln, zerstören sie die Struktur der Weltwirtschaft und damit das kapitalistische System als Ganzes.

Wo stehen Marxisten?

Der Markt bzw. die „unsichtbare Hand“ hat in der Vergangenheit eine fortschrittliche Rolle gespielt, ist aber eindeutig nicht mehr in der Lage, dies zu tun. Für uns geht es nicht darum, den Freihandel gegen den Protektionismus zu unterstützen. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu versuchen, die Uhr zurück ins Jahr 2006 oder gar ins Jahr 1967 zu drehen. Die ganze Krise zeigt die Unfähigkeit des Kapitalismus, die Menschheit voranzubringen, und in seinem senilen Niedergang zerstört der Kapitalismus viele der Errungenschaften, die er in der Vergangenheit erlangt hat.

Er zerstört seine Lieferketten, er zerstört sein System der internationalen Beziehungen, er führt uns zurück zu Kriegen, Militarismus und all der damit verbundenen Verschwendung von wirtschaftlichen Ressourcen und Menschenleben. Unsere Aufgabe ist es, zu erklären, warum dies geschieht und wie keine der beiden Seiten mit ihren Maßnahmen irgendetwas lösen wird.  

Wir müssen verstehen, dass Protektionismus eine Sackgasse ist. Die gesamte Entwicklung der letzten 80 Jahre zeigt, dass der „Sozialismus in einem Land“ eine völlig reaktionäre Utopie war. Wir sind ein miteinander verbundener Globus, und der Austausch von Erfahrungen, Technologien und Ressourcen bietet uns enorme Vorteile. Der Sozialismus würde auf einem Fundament des Handels und des Internationalismus aufgebaut, nicht dadurch, dass man die Produktivkräfte in die Zwangsjacke des Nationalstaates zwingt.

Freihandel und Liberalisierung bringen uns keinen Schritt mehr weiter, während die Hinwendung zum Protektionismus die Dinge nur noch schlimmer macht. Wir sind Sozialisten, Marxisten und Revolutionäre. Wir sehen in diesem Zusammenbruch der Globalisierung nur eine weitere Etappe in der Krise des Systems als Ganzes. Wir sehen die großen Vorteile des Welthandels, aber dieser Weg ist nun zu Ende. Nur auf der Grundlage der Machtübernahme durch die Arbeiterklasse können wir den Welthandel und die Weltbeziehungen wieder auf eine gesunde Grundlage stellen. Wir werden den Weg für einen gewaltigen Sprung nach vorn vorbereitn.

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