Marxismus versus Postmodernismus: Versteckspiel mit der Wahrheit

Der Postmodernismus ist eine absichtlich vage gehaltene philosophische Denkschule, die in der Nachkriegszeit prominent wurde. Zur Zeit ihrer Entstehung ein Randphänomen, entwickelte sie sich seither zur dominanten Denkschule bürgerlicher Philosophie und prägt heute den Mainstream der akademischen Welt. Wir veröffentlichen hier Teil Eins einer Artikelreihe, die unterschiedliche Aspekte des Postmodernismus aus einer marxistischen Perspektive beleuchtet. Von Daniel Morley und Hamid Alizadeh.


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Die Geschichte der Philosophie kennt eine breite Palette von Denkschulen, Untergruppierungen und Strömungen, die ein vielfältiges Spektrum von Weltanschauungen und Grundsätzen umfassen. Doch inmitten dieser Unzahl an philosophischen Richtungen – einige rational und materialistisch, andere idealistisch und völlig mystisch – existierte zumindest der Grundkonsens, dass der Maßstab für gute Theorie Konsistenz, Genauigkeit und viel Liebe zum Detail ist. Was auch immer die jeweilige Philosophie formulierte, letztendlich war es ein Ringen um die Wahrheit. Selbst die reaktionärsten Philosophen stellten sich auf diesen Standpunkt. Personen wie Augustinus von Hippo, dessen Theorie der göttlichen Erleuchtung das ideologische Rückgrat für die Reaktion des finsteren Mittelalters bildete, versuchten ihre Argumente zumindest schlüssig und vernünftig darzustellen.

Wie sich die Zeiten verändert haben: In der Periode des kapitalistischen Verfalls wird auch die Philosophie von einem Niedergangsprozess erfasst. Der Postmodernismus ist der klarste Ausdruck für diese Entwicklung. Seit einem guten halben Jahrhundert verbreitet sich diese Denkschule über die ganze Welt, springt von einem Land ins andere und mutiert dabei ständig in neue und immer absonderlichere Varianten. So entstand ein Komplex von Teildisziplinen und Strömungen wie der Postkolonialismus, die Queer-Theory, verschiedene Spielarten des Feminismus und viele mehr, die in offener oder versteckter Form in den heutigen Sozialwissenschaften sowie in der akademischen Welt im Allgemeinen vorherrschen.

Die postmoderne Philosophie begegnet den ausgezeichnetsten DenkerInnen der Geschichte mit Verachtung und entledigt sich ihrer rüde. Die Vernunft wird unter Generalverdacht gestellt, während gleichzeitig Irrationalität und Unverständlichkeit zum Prinzip erhoben werden. Aufrichtigkeit in der Theorie und das Streben nach der Wahrheit werden in endlosen Vorbehalten, Mehrdeutigkeiten und unverständlicher Sprache ertränkt. Folgende Passage von Lyotard bietet ein Musterbeispiel für diesen Trend:

„Viel wichtiger als der politische Linksradikalismus, viel enger mit einer Politik der Intensitäten verbunden: eine ungeheure unterirdische Bewegung, noch zögernd, eher noch eine Unruhe. Sie entzieht dem Wertgesetz die Affekte. Bremsen der Produktion, Konsumverweigerung, ‚Arbeits‘-verweigerungen, (illusorische?) Kommunen, Happenings, Bewegungen zur sexuellen Befreiung, Fabrik- und Hausbesetzungen, Entführungen, Produktion von Tönen, Worten, Farben ohne ‚Werkintentionen‘. Das sind die ‚Menschen der Steigerung‘, die ‚Herren‘ von heute: Außenseiter, experimentierende Maler, Popkünstler, Hippies und Yippies, Parasiten, Verrückte, Eingesperrte. Eine Stunde ihres Lebens enthält mehr an Intensität (und weniger an Intention) als tausend Worte eines Berufsphilosophen.”[1]

Wir wissen nicht, ob eine Stunde im Leben von Außenseitern, experimentierenden Malern, Popkünstlern, Hippies und Yippies, Parasiten, Verrückten oder Eingesperrten mehr Intensität bzw. Tiefgang bieten kann, als die Wörter eines nicht näher bestimmten „Berufsphilosophen“. Doch durch diesen auch nur sehr kurzen Textauszug wird glasklar, dass nur fünf Minuten aus dem Leben irgendeines Menschen weitaus mehr wert sind als 300.000 Wörter dieses speziellen Philosophen.

Ohne nur mit der Wimper zu zucken, stellen postmoderne PhilosophInnen die lächerlichsten und absurdesten Behauptungen und Thesen auf. Jean Baudrillard sagt beispielsweise, dass die Realität und mit ihr jeglicher Sinn nun einfach verschwunden wäre. Um seine Aussage zu veranschaulichen, paraphrasiert (und überspitzt) er die Worte von Elias Canetti mit offensichtlicher Zustimmung:

„Jenseits eines bestimmten Zeitpunkts ist die Geschichte nicht mehr real. Ohne es zu merken, ließ die gesamte Menschheit plötzlich die Realität hinter sich. Nichts, was seither geschehen ist, ist wahr, aber wir sind nicht in der Lage, es zu erkennen. Unsere Aufgabe und Pflicht ist es nun, diesen Punkt zu entdecken, oder wir sind, solange wir ihn nicht fassen, dazu verdammt, unseren gegenwärtigen zerstörerischen Kurs fortzusetzen.“[2]

Der Leser fühlt sich möglichweise im Recht zu fragen: Was soll das heißen? Doch diese Frage wurde im Vorhinein bereits beantwortet. Da die Realität sich jetzt aufgelöst hat und mit ihr jeglicher tiefer Sinn, so ist es generell sinnlos, nach irgendeiner Bedeutung zu fragen. Diese Methode hat den unzweifelhaften Vorteil, jede unbequeme Frage im Vorhinein auszuschließen. Sie lässt jede mögliche Kritik verstummen und löst konsequent angewandt die Grundlage für rationales Denken im Allgemeinen auf.

Diese Argumentationslinie, die uns als etwas fabelhaft Neues aufgetischt wird, ist – wie jeder andere Aspekt des Postmodernismus – weder neu noch originell. Es ist lediglich ein Wiederkäuen der alten Argumente von Tertullian aus dem dritten Jahrhundert, der die Absurditäten des christlichen Dogmas mit der Aussage rechtfertigte: „Credo quia absurdum est – „Ich glaube, weil es der Vernunft zuwiderläuft.“

In Wirklichkeit führt uns dieser Hang zum Widersinn direkt zum Kerngedanken des Postmodernismus, welcher jegliches rationale Denken ablehnt. Gilles Deleuze und Félix Guattari, die oft als „linker Flügel“ des Postmodernismus dargestellt werden, heben diese Absurditäten auf ein völlig neues Level:

„...das menschliche Wesen der Natur und das natürliche Wesen des Menschen werden in der Natur als Produktion oder Industrie, das heißt gleichermaßen im Gattungsleben der Menschen, identisch. Die Industrie wird in diesem Falle nicht mehr unter einem äußerlichen Verhältnis der Nützlichkeit begriffen, vielmehr in ihrer fundamentalen Identität mit der Natur als Produktion des Menschen und durch den Menschen. Nun aber nicht der Mensch als Krone der Schöpfung, sondern eher jener von allen Formen und Ausprägungen des Lebens ergriffene Mensch, dem selbst Sterne und Tiere zur Bürde aufgegeben sind und der nie aufhören wird, eine Organmaschine an eine Energiemaschine anzuschließen, oder einen Baum in seinen Körper, eine Brust in den Mund, die Sonne in den Hintern einzuführen, ewiger Verwalter der Maschinen des Universums. Darin besteht die zweite Bedeutung des Prozesses; Mensch und Natur stehen sich nicht wie zwei distinkte Begriffe gegenüber...“ [3]

Michel Foucault, einem engen Freund von Deleuze und Guattari, gingen in seinem überschwänglichen Lob dieses Schwachsinns die Pferde durch. Sein Kommentar lautet:

„…ein Licht, das einmal den Namen Deleuze tragen wird. Ein neues Denken ist möglich geworden; es ist überhaupt wieder möglich zu denken.” [4]

Hier haben wir es! Anscheinend war es völlig unmöglich zu denken, bis Monsieur Deleuze die Flamme der Weisheit entzündete.

Die gesamte postmoderne Literatur ist reichlich mit dieser pompösen, selbstgefälligen, grobschlächtigen Rhetorik durchzogen, was nichts als ein Feigenblatt für ihre schlecht durchdachten Theorien ist. Diese Lobpreisung aber schlägt dem Fass den Boden aus: Nach der Lektüre der obigen Zeile, kann die gesamte Menschheit erleichtert aufatmen. Wir können alle endlich anfangen zu denken.

Hier stellt sich nun die Frage: Über was genau sollen wir nachdenken?

Das Undefinierbare definieren

Eine Philosophie, die einen solch großen Anspruch an sich selbst stellt, ist es mit Sicherheit wert, beachtet zu werden. Wir üben uns deshalb in Geduld und scheuen keine Mühen, alles zu erfassen, was sich an Bedeutung in ihr finden lässt. Was genau ist Postmodernismus, was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Hier stoßen wir sofort auf das erste Problem: den Selbstanspruch des Postmodernismus, dass er undefinierbar sei. Es handelt sich beim Postmodernismus um eine Idee, welche per Definition Definitionen ablehnt – so weit, so unklar.

Der Begriff „Postmoderne“ wurde erstmals 1979 von Jean-François Lyotard geprägt. In seinen eigenen Worten – und zwar „bei extremer Vereinfachung“ – definierte er ihn als die „Skepsis gegenüber Metaerzählungen“[5].

Das Oxford English Dictionary definiert „Metaerzählung“ folgendermaßen:

„Ein umfassendes Verständnis oder eine Interpretation von Ereignissen und Umständen, eine Vorlage oder Struktur für die Überzeugungen von Menschen zur Verfügung stellen und ihren Erlebnissen Bedeutung verleihen.”

Aber Moment mal! Ist Lyotards eigene Definition nicht auch … eine Metaerzählung? Gewiss – so ist es! Wenn er uns informiert, dass wir unbedingt vermeiden müssen, in gewissen Weisen zu denken, mit denen er sich nicht einverstanden erklärt, bietet er uns dann etwa nicht eine allgemeine Theorie bzw. „ein umfassendes Verständnis oder eine Interpretation von Ereignissen und Umständen“? Und wenn er uns erzählt, dass gewisse Ideen vermieden werden müssen, bietet er uns nicht auch „eine Vorlage oder Struktur für die Überzeugungen von Menschen“, die „ihren Erlebnissen Bedeutung verleihen“?

Beide Fragen sind eindeutig zu bejahen. Daher steht Jean-François Lyotard von vornherein unter der Anklage des absurden Selbstwiderspruchs oder des himmelschreienden Betrugs. Wir haben es entweder mit einem Tölpel oder einem Gauner zu tun; oder möglicherweise mit beidem. Es ist schwer, sich hier festzulegen.

„Kein Fortschritt“?

PostmodernistInnen sind ebenfalls dafür bekannt, die Auffassung des Fortschritts in der Geschichte abzulehnen. Sie behaupten, die Entwicklung der Wissenschaft und der Philosophie kenne keinen Fortschritt, es gäbe schlichtweg nur unterschiedliche Arten, die Welt zu interpretieren. Außerdem handele es sich um eine Welt, die nicht einmal unseren Interpretationen von ihr entspricht. Und doch präsentiert der Postmodernismus seine Denkschule als die Einzige, die diese Situation erklären könne. Wenn wir diesen Standpunkt akzeptieren, ist jeder Gedanke so gut wie der nächste, unabhängig davon, ob er dem Verstand eines steinzeitlichen Schamanen, eines Aristoteles, eines Einsteins oder eines Marx entspringt. Zu keinem Zeitpunkt konnte das menschliche Verständnis der Natur und der Gesellschaft einen einzigen Schritt voranschreiten – tatsächlich gibt es für die postmodernen PhilosophInnen gar kein „vorwärts“. Nichts ist progressiv, abgesehen natürlich vom Postmodernismus selbst, welcher spät aber triumphierend auf die Bühne tritt, um die uralte Schande des Fortschrittsglaubens aufzudecken.

Einer Sache können wir leicht zustimmen. Es stimmt, dass im kapitalistischen System der Epoche seines Niedergangs kein ernsthafter Fortschritt für die Menschheit möglich ist. Aber können wir daraus schließen, dass Fortschritt im Allgemeinen nicht existiert oder die Geschichte keine Phasen kannte, in denen riesige Schritte nach vorne gemacht wurden? Nein, dies steht uns nicht zu. Alle, die die Geschichte studieren, werden sofort entdecken, dass die menschliche Gesellschaft Phasen des großen Fortschritts kennt, gekennzeichnet durch eine rasante Entwicklung der Produktivkräfte, der Wissenschaft und Technologie sowie dem Aufblühen von Kunst und Kultur.

Die Geschichte kennt auch andere Epochen der Stagnation, der Degeneration, des Verfalls und sogar des Rückfalls in die Barbarei. Der Untergang des Römischen Reiches war der Beginn von hunderten Jahren der Rückwärtsentwicklung in Europa, die berechtigterweise als „dunkles Zeitalter“ bezeichnet werden. Die Renaissance (15. und 16. Jahrhundert) war ein Wendepunkt der Entwicklung der Kultur in jedem Bereich. Kunst, Wissenschaft, Literatur: Alles erfuhr eine beeindruckende Wiedergeburt (die eigentliche Bedeutung des Wortes „Renaissance“). Das war das Zeitalter des Aufstiegs der Bourgeoisie, der Trägerin einer neuen, höheren Entwicklungsstufe der menschlichen Gesellschaft. Sie leitete ein Zeitalter der Entdeckungen ein und erlöste dabei die Menschheit aus den Ketten des Feudalismus, mitsamt der irrationalen Obskurität der Kirche und dem Feuer der Inquisition.

Im weiteren Verlauf schuf die revolutionäre Bourgeoisie in Frankreich die Aufklärung, die die Postmoderne mit besonderer Abscheu betrachtet, gerade weil sie für rationales Denken und für Wissenschaftlichkeit steht. Wie schon der Name impliziert, glaubt der Postmodernismus, dass die sogenannte Moderne am Ende ist. Die Moderne bezeichnet in der Philosophie das Set der Ideen, die aus der Aufklärung hervorgegangen sind. Dies war die heroische Epoche des Kapitalismus, als die Bourgeoisie noch in der Lage war, eine fortschrittliche Rolle zu spielen. Doch die aktuelle Epoche zeichnet ein Bild des sozialen, ökonomischen, politischen und ideologischen Zerfalls. Der menschliche Fortschritt ist in der Tat zum Stillstand gekommen. Die tiefste Krise seit 300 Jahren lähmt die Produktivkräfte. Die kulturelle Entwicklung steht still und die Errungenschaften der Wissenschaft, weit davon entfernt, die Menschheit zu befreien, drohen sich in Massenarbeitslosigkeit und Umweltkatastrophe zu verwerten. Die kapitalistische Klasse wurde zu einem Hindernis für den Fortschritt.

Auf Basis des aktuellen Systems ist die Aussicht für die Menschheit in der Tat düster. Doch statt den Schluss zu ziehen, dass das kapitalistische Gesellschaftssystem dem Fortschritt den Weg versperrt, folgern die PostmodernistInnen, dass Fortschritt an sich ausgeschlossen sei, weil er nie existiert habe. Die herrschende Klasse und ihre Mittelschichts-Groupies an den Universitäten sind von einem Geist des Pessimismus durchdrungen. Sie beklagen sich über den schrecklichen Zustand der Gesellschaft. Doch indem sie Wissenschaft, rationales Denken und Fortschritt im Allgemeinen ablehnen, spiegeln sie selbst nur die Weltanschauung einer degenerierten und heruntergekommenen herrschenden Klasse wider.

Unehrlichkeit

Der Pionier der deutschen Arbeiterbewegung, Josef Dietzgen, sagte einmal, dass die offizielle Philosophie keine Wissenschaft sei, sondern „ein Schutzschirm gegen die Sozialdemokratie“, wobei Dietzgen mit der Sozialdemokratie die revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse meinte. Die Aufgabe der herrschenden Ideen ist gerade die Verschleierung der Kluft zwischen den Interessen der Massen und dem Status-quo des Kapitalismus. Dies ist die Grundlage für die Kniffe, Täuschungen und die extreme Verlogenheit, die die bürgerliche Philosophie im Allgemeinen und den Postmodernismus im Besonderen auszeichnen. Einer dieser Kniffe ist das ständige Runterrasseln von widersprüchlichen Aussagen, um die eigenen Spuren zu verwischen. In einem Interview von 1977, veröffentlicht unter dem Titel „Prison Talk“, wurde Foucault mit einer unangenehm direkten Frage zu seiner Ablehnung des „Fortschrittsbegriffs“ konfrontiert.

Hier ein Auszug:

„Ich bin auf einen Satz in ‚Wahnsinn und Gesellschaft‘ gestoßen in dem Sie sagen, dass wir ‚historische Chronologien und sukzessive Ordnungen von allen Formen der progressistischen Perspektive befreien‘ müssen.“

Foucault darauf:

„Das ist etwas, was ich den Wissenschaftshistorikern verdanke. Ich mache mir die methodische Vorsicht und den radikalen, aber nicht aggressiven Skeptizismus zu eigen, der es sich zum Prinzip macht, den Zeitpunkt, an dem wir jetzt stehen, nicht als Resultat eines teleologischen Vorwärtsschreitens zu betrachten, das es historisch zu rekonstruieren gälte: jene Skepsis gegenüber uns selbst und dem, was wir sind, unserem Hier und Jetzt, die verhindert, dass man annimmt, das, was wir haben, sei besser als – oder mehr als – in der Vergangenheit. Das heißt nicht, dass man nicht versuchen soll, generative Prozesse zu rekonstruieren, sondern dass man dies tun muss, ohne ihnen eine Positivität oder eine Aufwertung aufzuerlegen.“[6]

Wenn wir uns die Mühe machen, in die obskure Welt der foucaultschen Sprache einzudringen, sehen wir, dass seine Ablehnung der interpretativen „Aufwertung“ des „generativen Prozesses“ der Geschichte nichts anderes als die Ablehnung des Fortschritts ist. In einem Akt zynischer Täuschung führt er den Begriff „teleologisch“ ein, um die Sache verworrener zu machen.

Jeder mit dem geringsten philosophischen Wissen weiß, dass Teleologie ein Begriff ist, der die „Vorherbestimmung“ bezeichnet. Diese religiös konnotierte Idee ist himmelweit von der marxschen Entdeckung entfernt, dass Geschichte von bestimmten Gesetzmäßigkeiten beherrscht wird, die unabhängig vom subjektiven Willen der individuellen Menschen wirken. Beiden gegenüber steht die foucaultsche Vorstellung, dass die menschliche Geschichte eine reine Aneinanderreihung von bedeutungslosen Zufällen ist.

Der Interviewer, der sich nicht so einfach von der Fährte abbringen lässt, stellte darauf die logische Folgefrage:

„Auch wenn die Wissenschaft seit langer Zeit den Grundsatz teilt, dass der Mensch sich weiterentwickelt?“

Foucault erwidert:

„Es ist nicht die Wissenschaft, die das sagt, sondern die Geschichte der Wissenschaft. Und ich sage nicht, dass die Menschheit keinen Fortschritt macht. Ich sage, es ist eine schlechte Methode das Problem so darzustellen: ‚Wie kommt es, dass wir Fortschritte gemacht haben?‘ Das Problem ist: Wie geschehen die Dinge? Und was jetzt passiert, ist nicht unbedingt besser oder fortschrittlicher oder besser verstanden als das, was in der Vergangenheit passiert ist.“

Ein klassischer Fall von gleichzeitig überall sein wollen. Während er den Fortschritt in der Geschichte klar leugnet (zumindest so klar, wie es ihm seine eigenartige Sprache erlaubt) erklärt er im darauffolgenden gelassen das Gegenteil: Er würde gar nicht sagen, dass „die Menschheit keinen Fortschritt macht“. Doch im nächsten Atemzug fügt er hinzu „was jetzt passiert, ist nicht unbedingt besser oder fortschrittlicher oder besser verstanden als das, was in der Vergangenheit passiert ist“. Also gab es tatsächlich keinen Fortschritt. Ist das deutlich genug?

Dies ist ein gutes Beispiel, wie sich diese Damen und Herren drehen und wenden, mit Wörtern spielen, um ihre Bedeutung zu verdunkeln, so wie ein Tintenfisch zur Verwirrung seiner Fressfeinde eine Tintenwolke absondert. Wenn also jemals irgendjemand Foucault kritisiert, den Fortschritt in der Geschichte zu verneinen – was der Kern seines Werks ist – könnte er dies jederzeit zurückweisen und sagen „Oh nein, einmal habe ich doch gesagt, dass ich nicht sage, dass die Menschheit nicht voranschreite.“

Intellektuelle Verlogenheit und Feigheit ist ein essentieller Bestandteil des Postmodernismus. Er vollzieht eine ganze Menge an Manövern, um die LeserInnen zu verwirren und irritieren, um sie von seinem tatsächlichen reaktionären Charakter abzulenken. Beeindruckend sind die schamlose Arroganz und Kühnheit, mit der diese Irreführung vorgetragen wird.

Sprachspiele

„Manchmal denke ich bereits vor dem Frühstück an sechs unmögliche Dinge.“ (Lewis Carrol, Alice im Wunderland)

Postmodernismus beruht auf der Grundannahme, dass Konzepte, Ideen und selbst die Sprache subjektive und beliebige „Konstrukte“ sind. Somit sind auch alle konzeptionellen Gedanken, inklusive der Wissenschaft, unterdrückerisch. Es kann keine objektive Wahrheit geben. Nichts ist wahr oder kann als sicheres Kriterium gelten. Die einzige Wahrheit liegt in der individuellen Erfahrung, der „gelebten Erfahrung“, und dies kann immer nur eine persönliche Wahrheit sein.

Nicht zufrieden damit, jeden rationalen Gedanken und „Metanarrative“ zu verwerfen, gehen manche PostmodernistInnen so weit, die Idee zu vertreten, dass, da die Sprache ein unterdrückerisches Konstrukt sei, auch die Grammatik als unterdrückerisches, der menschlichen Freiheit abträgliches Konstrukt abzuschaffen sei. Wenn wir einmal frei von den fesselnden Ketten der Grammatik und Syntax sind, können wir in den Himmel der absoluten Freiheit aufsteigen, wo wir in einer völlig neuen Art, jeder für sich allein, aber untereinander unverständlich, reden können.

Doch die Sprache ist kein Konstrukt. Sie wurde von niemandem erfunden. Sie entwickelte sich über einen langen Zeitraum von hunderttausenden Jahren, als Folge der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Dies trifft auch auf die Gesetze des Denkens zu, die die PostmodernistInnen gerne zerstört wünschen. Doch durch was sollen sie ersetzt werden? Uns können die Regeln der Grammatik und der Syntax zusagen oder missfallen, egal ob es sich dabei um die Grammatik einer Hochsprache handelt oder um eine nicht-kanonisierte Grammatik eines Dialektes. Doch ohne diese Regeln wird die Sprache komplett unverständlich oder mindestens hochgradig inkohärent. Die PhilosophInnen der Postmoderne haben aber natürlich auch für diese Schachtel einen passenden Deckel.

Auf den Vorwurf ihrer eigenen Unverständlichkeit antwortend, prangerte Judith Butler, eine Säulenheilige der Postmoderne, das „Erlernen der Regeln, die verständliches Sprechen regulieren“[7] an. Gemäß Butler ist das Lernen solcher Regeln „eine Einimpfung normalisierter Sprache, wobei der Preis der Nicht-Anpassung der Verlust der Verständlichkeit an sich ist"[8]. Sie fährt fort:

„Es ist nichts Radikales am gesunden Menschenverstand. Es wäre ein Fehler zu denken, dass die allgemein akzeptierte Grammatik das beste Vehikel ist, um radikale Ansichten auszudrücken, angesichts des Zwanges, die die Grammatik dem Denken, ja dem Denkbaren an sich auferlegt.“

So, jetzt wissen es alle! Der „gesunde Menschenverstand“ ist nicht radikal, der Unsinn aber schon. Gestärkt und gerüstet macht Butler sich auf den Weg, um ihre eigene Grammatik zu erobern, eine, die sich nicht ihren Gedanken „aufzwingt“. Nach dieser Eroberung bestreitet sie allerhand weitere Abenteuer, denkt an Dinge, die für jene von uns, die in der Sprache der Normalsterblichen gefangen sind, vollständig „undenkbar“ sind.

Die Frage ist nur, wie sie diese undenkbaren Gedanken mit Normalsterblichen kommunizieren kann, welche nach wie vor an die Einschränkungen der „verständlichen Sprache“ gebunden sind, die nicht die geringste Ahnung haben, von was sie eigentlich redet? Butlers Methode ist reine Sophistik. In anderen Worten, sie ist ein Täuschungsmanöver: „Meine Ideen sind nicht schlecht und unverständlich; du bist nur nicht fortgeschritten genug, um sie zu verstehen.“

Dies gesagt habend, wäre es übertrieben zu behaupten, dass postmoderne Texte völlig unbegreifbar sind. Der Zweck ihrer verworrenen Rhetorik ist ihre alten, albernen und reaktionären Ideen originell, ausgefeilt und sogar radikal erscheinen zu lassen. Es verlangt ein wenig Aufwand, dies offenzulegen, doch es existiert definitiv ein durchgängiges Motiv hinter der rhetorischen Fassade. Wenn ihre Ideen erst mal aus ihrer „Fachsprache“ in die Sprache von Normalsterblichen übersetzt wurden, sind sie nicht so schwierig zu erfassen.

Es gibt nichts außerhalb des Textes

Von Jacques Derrida, einem der einflussreichsten Postmodernisten, stammt der berühmte Ausspruch: „Ein Text-Äußeres gibt es nicht.“[9] Damit meint er, dass Bedeutung – und damit Erkenntnis – sich nicht auf die Wirklichkeit, sondern nur auf sich selbst bezieht. Die Wörter, die wir verwenden, sind in keiner Weise mit den Dingen verbunden, die wir bezeichnen wollen. Nach Derrida ist vielmehr jedes einzelne Wort nur durch sein Verhältnis zu anderen Wörtern definiert. Um irgendetwas verstehen zu können, müssen wir also zuerst alle Wörter erfassen, die unseren Wörtern Bedeutung geben, und dann all die Wörter, die jenen Wörtern Bedeutung geben und so weiter und so fort. Das ist natürlich unmöglich und deshalb wird das flüchtige Ding, das man „Bedeutung“ nennt, so sagt man uns, immer weiter „verschleppt“ und nie ganz erfassbar sein.

Tatsächlich kann die Bedeutung der Sprache Derridas niemals wirklich begriffen werden, aber das ist ein anderes Thema. Auf was Derrida abzielt, ist die Erschütterung der Vorstellung, dass die objektive Realität an sich erfassbar sei. Anders ausgedrückt, in letzter Instanz gäbe es gar keine Realität „außerhalb des Textes“. Wir haben möglicherweise ein Wort für Hund oder Katze, aber wenn es nach Derrida geht, sind diese Begriffe lediglich abstrakte und subjektive Schöpfungen des menschlichen Verstandes und haben keine Verbindung zu irgendeiner echten Katze oder einem Hund.

Trotz dieser „tiefen“ Beobachtung haben Menschen über tausende Jahre nie aufgehört die Sprache zu nutzen, unbekümmert jener höheren Wahrheit, die ihnen sagt, dass ein Hund nicht wirklich ein Hund sei und eine Katze nicht wirklich eine Katze und generell die Sprache nicht fähig sei, überhaupt irgendetwas Verständliches zu formulieren.

Weit von einer allseitigen Sichtweise entfernt, wie es Derrida behaupten würde, zeigt seine Philosophie vielmehr ein sehr einseitiges Verständnis von Erkenntnis. Wenn unsere Vorstellungen keine objektive Wahrheit widerspiegeln und wenn „Sinn“ von den Menschen nach Lust und Laune erzeugt und „dekonstruiert“ werden kann, wie können Menschen, sei es durch Texte oder durch andere Mittel, kommunizieren? Wieso müht sich Derrida mit dem Schreiben von Texten ab, wenn es keine objektive oder gemeinsame Basis für Sprache gibt? Und wie können wir überhaupt feststellen, dass wir alle die gleiche Realität erleben? Sofern eine solche überhaupt existiert, ist sie doch für uns alle unerfassbar?

Derartige Widersprüchlichkeiten scheinen Derrida nicht zu stören. Wie alle gefestigten postmodernen DenkerInnen empfindet Derrida Inkonsistenz als Ehrenauszeichnung. Sein bekanntester Begriff, jener der „Dekonstruktion“, bedeutet – wenn überhaupt irgendetwas – nur, dass die „Freiheit“ darin besteht, die Konsistenz und Kohärenz von Ideen zu zerstören. So kann jedes Individuum seine eigene Realität konstruieren und „dekonstruieren“. In der Tat argumentiert dies auch Judith Butler, die einflussreichste postmoderne Feministin:

„Die Unbestreitbarkeit des ‚biologischen Geschlechts‘ oder seiner ‚Materialität‘ ‚einzuräumen‘ heißt stets, daß man irgendeine Version des ‚biologischen Geschlechts‘, irgendeine Ausformung von ‚Materialität‘ anerkennt. Ist nicht der Diskurs, in dem und durch den dieses Zugeständnis erfolgt – und zu diesem Zugeständnis kommt es ja unweigerlich – selbst formierend für genau das Phänomen, das er einräumt? […] Auf ein solches außer-diskursives Objekt naiv oder direkt ‚zu referieren‘, wird sogar immer die vorausgegangene Abgrenzung des Außer-Diskursiven erfordern.“[10]

Der „Diskurs“ ist „formierend für genau das Phänomen, das er einräumt“. Denken schafft also Realität. Die materielle Realität, sogar das biologische Geschlecht ist „diskursiv“ und kann selbstverständlich durch den Diskurs verändert werden. Wenn das biologische Geschlecht nur ein Produkt des „Diskurses“ ist, dann trifft dies auch auf dich, mich und alles andere zu. Aber ist es dann nicht auch einfach möglich, dass du meine eigene Realität konstruierst und dekonstruierst, und ich umgekehrt die deine? Butler sagt nichts dazu.

Diese Theorie ist weder modern noch postmodern, sondern ziemlich alt. Womit wir es hier zu tun haben, ist subjektiver Idealismus – eine philosophische Strömung, die auf die Frühzeit der Philosophie zurück geht. Das Grundprinzip des subjektiven Idealismus ist die Ablehnung einer unabhängig von den Gedanken und Sinneswahrnehmungen der Menschen existierenden, objektiven Realität.

Derridas Ansatz ist schlichtweg eine primitive Kopie Immanuel Kants, der im 18. Jahrhundert argumentierte, dass das menschliche Bewusstsein die materielle Wirklichkeit, oder wie er es nannte, das „Ding an sich“, nie wirklich erkennen könne. Laut Kant ist der Verstand „a priori“ (von vornherein, unabhängig von der Erfahrung und Wahrnehmung; Anm. d. Ü.) mit einer Reihe von Denkkategorien, wie Raum, Zeit, Substanz, etc., ausgestattet, die es uns ermöglichen die „Welt der Erscheinungen“ (Phänomene) sinnlich wahrzunehmen. Doch unser Verstand sei dabei nicht in der Lage, die materielle Wirklichkeit, so wie sie wirklich „an sich“ ist, verstehen zu können.

Derrida greift jedoch vor Kant zurück, indem er für jegliche Konzepte nur Spott überhat. Alle verallgemeinerten Konzepte sieht er als Produkte des menschlichen Verstandes an, ohne dass diese in Verbindung zur objektiven Realität stünden. Diese Ideen setzen noch vor Kant an. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts brachte Bischof George Berkeley im Kampf gegen den Materialismus die gleichen absurden Argumente vor, wenngleich auf eine viel durchdachtere Weise:

„Es besteht in der Tat eine auffallend verbreitete Meinung, dass Häuser, Berge, Flüsse, mit einem Wort, alle sinnlichen Objekte eine natürliche oder reale Existenz haben, die von ihrem Perzipiertwerden durch den Verstand verschieden ist.”[11]

Es gibt allerdings ein Problem bei dieser Theorie, das nicht so leicht vom Tisch gewischt werden kann. Dieses Argument führt nämlich logisch unausweichlich zum Solipsismus (aus dem lateinischen solo ipsus, dt.: nur ich selbst). Dies ist die Vorstellung, dass wir der Existenz von nichts und niemandem sicher sein können, außer jener unseres Denkens. Daher müssen wir uns darauf beschränken, nichts als Einzelhäftlinge unserer inneren Welten zu sein und alles andere ist eine Einbildung unserer Vorstellungskraft. Aber wenn dies so ist, so muss auch Gott nur eine Einbildung unseres Denkens sein.

Geht es nach dieser Vorstellung, kann nichts jemals objektiv sein, da niemandes Existenz bewiesen werden kann. Alles ist eine Schöpfung („Konstrukt“) des Denkens. Diese Vorstellung ist klarerweise durch tausende Jahre menschlicher Erfahrung und Praxis widerlegt. Auch mindestens zweieinhalb Jahrtausende Wissenschaftsgeschichte widerlegen diese Aussage. Doch dies bekümmert die PostmodernistInnen nicht, sie bestreiten sowieso jeglichen Fortschritt.

Bischof Berkeley war ein reaktionärer und entschiedener Verteidiger der Kirche. Sein erklärtes Ziel war es, den Kampf gegen die Wissenschaft, das rationale Denken, den Atheismus sowie den Materialismus der Aufklärung zu führen. In allen Punkten, außer einem (Atheismus), befinden sich die PostmodernistInnen in vollständiger Übereinstimmung mit ihm. Seine Argumentation richtete sich gegen den Empirismus, eine frühe, damals vorherrschende Erscheinungsform des Materialismus. Die Empiriker behaupteten, dass alle Erkenntnis in letzter Instanz aus den Sinneseindrücken kommt. Das stimmt, ist aber einseitig. Die Argumentation wurde vom schottischen Philosophen David Hume bis zur Absurdität überspitzt. Er vertrat den Standpunkt, dass wir nicht beweisen könnten, dass es mehr gibt, als unsere Sinneseindrücke.

Wenn wir die Grundannahme der subjektiven Idealisten akzeptieren, existiert nur ein Ausweg aus dieser Absurdität: der Weg, den Bischof Berkeley vorschlägt. Namentlich, dass es Gott ist, der auf uns einwirkt, so dass unsere Ideen objektiv werden und in einem allgemeinen Bezugsrahmen eingebettet sind. Doch es gibt auch einen anderen Weg: jenen des Materialismus und der Wissenschaft. Zu der Prämisse, dass jegliche Erkenntnis über die Sinneserfahrung gewonnen wird, müssen wir eine weitere hinzufügen: dass eine objektive materielle Wirklichkeit unabhängig von unseren Ideen und Erfahrungen tatsächlich existiert und dass die Menschen in der Lage sind, diese Realität zu untersuchen und ihre Merkmale und inneren Bewegungsgesetze offenzulegen. Genau das lehnt der Postmodernismus jedoch ab.

Kann man die Wahrheit feststellen?

Eine wahre Idee steht im Einklang mit der Realität. Das ist allgemein anerkannt. Ein kleines Kind könnte denken, dass es Spaß macht, mit dem Feuer zu spielen. Es wird schnell entdecken, dass dies keine richtige Annahme ist. Über einen schmerzhaften Lernprozess, durch praktisches Herumprobieren, wird das Kind jedoch mit der Zeit die Idee entwickeln, dass Feuer mit der richtigen Herangehensweise etwas sehr Nützliches sein kann und in gewissen Situation vielleicht sogar Spaß macht. Das Feuer wird von einem „Ding an sich“ zu einem „Ding für uns“. So verläuft der generelle Weg der menschlichen Entwicklung – von der Unwissenheit zur Erkenntnis.

Die PostmodernistInnen allerdings lehnen diesen Ansatz ab. Mehr noch, sie lehnen kategorisch ab, dass Ideen überhaupt richtig oder falsch sein können. Sie verspotten grundsätzliche Aussagen (wiewohl nicht alle, wie wir noch sehen werden), da dies implizieren würde, dass manche Aussagen richtiger wären als andere. Dementsprechend stopfen sie ihre Schriften mit vagen und im höchsten Maße zweideutigen Äußerungen voll, welche reich an bedingten Aussagen und langen, widersprüchlichen Erklärungen sind.

Foucault, der bedeutendste Denker der Postmoderne, findet es unmöglich, nach der objektiven Wahrheit zu streben. Wir könnten nicht auf einen Gedanken hoffen, dessen Inhalt nicht von Menschen abhinge. Der Wahrheitsgehalt einer Idee – das Wissen – soll ihm zufolge nicht von unserer Erfahrung der materiellen Wirklichkeit abgeleitet sein, sondern von dem, was er „Macht“ nennt. Macht in dem Sinn, den wir diesem Begriff für gewöhnlich geben, etwa die Staatsmacht oder die Macht einer Klasse über eine andere, ist damit nicht gemeint. „Macht“ im foucaultschen Sinn bezeichnet im Wesentlichen ganz allgmein Wissen. Das heißt, die „Macht“ schafft das Wissen und das Wissen schafft die „Macht“. Oder, um es anders auszudrücken, Wissen erzeugt Wissen. Das ist eine reine Tautologie, die genau nichts erklärt. Im Wesentlichen ist es das gleiche Prinzip, welches Derrida aufstellt. Nämlich dass Ideen und allgemeine Konzepte nicht die objektive Realität widerspiegeln, sondern nur andere Ideen und Konzepte.

Foucault argumentiert weiter, dass Wahrheit nichts ist, was wir durch Austesten von Ideen in der realen Welt erreichen können. Vielmehr würde die Wahrheit von der „Macht“ ‚geschaffen‘. Und „Wahrheitsregime“[12] werden der Gesellschaft von der „Macht“ aufgezwungen. Die „Macht“ bestimmt, was richtig und was falsch ist. Laut Foucault existieren in Wirklichkeit die Kategorien „richtig“ und „falsch“ jedoch nicht. Folglich ist nichts richtig oder falsch. Einer der Wege, dies zu entdecken, sei die Einnahme von LSD, informiert Foucault seine Leserschaft:

„Nun sieht man auch leicht, wie LSD das Verhältnis zwischen schlechter Laune, Dummheit und Denken umzukehren vermag. Es setzt nicht die Oberhoheit der Kategorien außer Kraft, sondern entzieht der Indifferenz [der Oberhoheit] den Boden und reduziert die stumpfsinnige Nachahmung der Dummheit auf null. Und diese ganze einstimmige, akategoriale Masse erscheint nun nicht nur als bunt, beweglich, asymmetrisch, dezentriert, spiralförmig und klingend, sondern wimmelt plötzlich von Phantasma-Ereignissen.”[13]

Wenn wir uns an einer Übersetzung dieses Kauderwelschs versuchen, vermittelt uns Foucault hier, dass LSD-induzierte Halluzinationen offenbaren, dass die Realität nicht so beschaffen ist, wie wir es normalerweise annehmen würden. An einem Tag denkt man, Elefanten wären wilde Tiere, die in Zoos oder tropischen Regionen leben und am nächsten Tag sind sie möglicherweise kleine, pinke Kreaturen, die im Kreis rund um meinen Kopf fliegen. Wer darf denn urteilen, welche dieser Vorstellungen richtig und welche falsch ist?

Keinesfalls könne man über Wahrheit reden, weder über meine noch über deine. Hierzu gibt es natürlich eine Ausnahme, die absolut und ewig gültige Wahrheit der universellen Zurückweisung des Wahrheitsbegriffes durch Monsieur Foucault. Hier haben wir ein weiteres Beispiel eines postmodernen Selbstwiderspruchs. Foucault bemerkt nicht einmal, dass er versucht, die „Richtigkeit“ seiner Auffassung der Nicht-Existenz von Wahrheit zu beweisen. Wurde nicht genau das zuvor als Unmöglichkeit argumentiert?

Kann man tatsächlich behaupten, wie es Foucault im Wesentlichen tut, dass die objektive Wahrheit eine Fiktion sei? Man kann glauben, ein Vogel zu sein und fliegen zu können. Doch wenn man vom Rand einer Klippe runterspringt, wird diese Vorstellung zusammen mit dem fallenden Körper abstürzen. Man kann sich vorstellen, ein Multimillionär zu sein. Wenn man aber in die Bank geht und eine Million abheben will, wird man für verrückt erklärt werden, etc., etc. AnhängerInnen der Postmoderne sind herzlich eingeladen, den Gegenbeweis anzutreten. Die Praxis wird uns dann zeigen, wer hier im Recht ist.

Über das ganze Mittelalter hinweg, bis hinein ins 18. Jahrhundert glaubte man in Europa landläufig, dass Gott die Erde vor wenigen Jahrtausenden erschaffen habe. Doch die Wissenschaft hat diese Ansicht vollständig zerstört. Heutzutage existiert diese Vorstellung daher nur noch auf Basis des Glaubens. Die Ablehnung der objektiven Wahrheit läuft schlussendlich darauf hinaus, die ganze menschliche Erkenntnis auf das Niveau von Glauben und Aberglaube zu drücken. Sie zieht uns zurück in den Sumpf der Religion.

Im Gegensatz zum Glauben fußt jede Wissenschaft auf der Annahme, dass die natürliche Welt unabhängig von unseren Ideen existiert und unsere Vorstellungen Naturphänomene widerspiegeln können. Wahrheit existiert folglich objektiv, das bedeutet unabhängig vom menschlichen Verstand. Das abzulehnen, kommt der Ablehnung von Wissenschaft gleich. Dies ist allerdings genau, was die PostmodernistInnen tun, wie wir später noch sehen werden.

Subjektive und objektive Erkenntnis

Der Postmodernismus erhebt die Subjektivität zu einem absoluten Prinzip. Daraus leitet er ab, dass das Denken im Allgemeinen begrenzt und einseitig ist, weshalb es die objektive Wahrheit nicht erfassen kann. Für die kleinkarierten AkademikerInnen hört die Welt tatsächlich jenseits der eigenen Nasenspitze oder wenigstens an der Tür ihres Seminarraums auf zu existieren. Universitätsprofessoren produzieren Worte. Das ergibt die Gesamtsumme ihrer eigenen, kleinen Welt, ihr Habitat – die einzige Umgebung, die sie kennen. So erklärt sich die Besessenheit der PostmodernistInnen auf Worte und Sprache. Es erklärt auch die extreme Enge ihrer Weltanschauung und die Armut ihres Denkens.

Doch das Denken geht über „das Subjekt“ hinaus. Die großen wissenschaftlichen und philosophischen Theorien der Geschichte sind nicht bloß das Produkt von großen Denkern; sie sind der höchste Ausdruck der Entwicklung des menschlichen Denkens in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Epoche. Wenn wir über menschliches Denken sprechen, besprechen wir nicht die Gedankengänge eines individuellen Denkers, sondern das kollektive, menschliche Denken im Allgemeinen.

Es stimmt, dass jeder einzelne Mensch von Natur aus eine einseitige und begrenzte Perspektive hat. Aber durch Kooperation kann die Menschheit die Grenzen des Individuums überwinden, indem sie die Objektivität jeder Behauptung aus einer Vielzahl von Blickwinkeln kollektiv prüft und im wirklichen Leben anwendet. Die Gedanken im Kopf eines Menschen gehören nicht ihm allein – alle unsere Theorien und unsere Sprache sind das Produkt der Gesamtheit menschlich-gesellschaftlicher Entwicklung, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Das Verhältnis von Subjekt und Objekt ist aber auch nicht nur eine Frage abstrakten Nachdenkens. Die Menschheit interagiert aktiv mit der materiellen Welt, nicht passiv.

Der Mensch verändert die Welt durch kollektive Arbeit und dadurch verändert er sich selbst. Dieser unaufhörliche Schaffensprozess findet im Fortschritt der Wissenschaft seinen höchsten Ausdruck, eine offensichtliche Tatsache, die der Postmodernismus abzustreiten sucht. Von der Unwissenheit zur Erkenntnis ist es ein endloser Weg. Was wir heute noch nicht wissen, werden wir morgen wissen. In diesem Sinne ist das kollektive menschliche Denken nicht nur zur Objektivität fähig, es ist auch grenzenlos und absolut. Kein Wissen ist außerhalb seiner Reichweite.

Marx erklärte in seinen Thesen über Feuerbach:

„Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, i.e. die Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens - das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.“[14]

Losgelöst von der realen menschlichen Aktivität die Frage nach der Objektivität von Wahrheit zu stellen, läuft auf leere Spekulation hinaus. Denken ist ein Ausdruck der Praxis und letztendlich werden Ideen in der Praxis abgetestet. Die Weiterentwicklung von Ideen dient der Verbesserung unserer Praxis. Ebenso werden bei dieser Tätigkeit die objektiv wahren Elemente aller Ideen bestimmt und von ihren falschen oder überbetonten Aspekten getrennt.

Relative und absolute Wahrheit

Bedeutet aber die Tatsache, dass Ideen als objektiv wahr bewiesen werden können, dass menschliche Ideen wahr sind, von dem Moment an, in dem sie gedacht werden, bis in alle Ewigkeit? Natürlich nicht. Vom Standpunkt des Materialismus aus betrachtet, ist es sinnlos, vom Erreichen einer absoluten Wahrheit, im Sinne einer abschließenden Erkenntnis der Gesamtheit des Universums, zu sprechen. Die Menschheit ist in der Lage, die Naturgesetze auf allen Ebenen zu entdecken. Der ständige Fortschritt in der modernen Wissenschaft und Technologie beweist dies. Doch die Menschheit wird nie einen Punkt erreichen, an dem sie alles entdeckt hat, was es zu entdecken gibt. Für jede Frage, die die Wissenschaft löst, und für jedes Gebiet der Natur, das der Mensch meistert, eröffnen sich neue Wege und neue Fragestellungen.

Die Geschichte der Wissenschaft ist ein Prozess einer nie enden wollenden Reihe von Theorien, die aufsteigen und angesichts fortgeschrittener Theorien bald wieder verblassen. Doch auch hier zieht der Postmodernismus wieder aus einer formal korrekten Beobachtung eine übertriebene und einseitige Schlussfolgerung. Da alle Theorien ab einem gewissen Punkt durch neuere und fortgeschrittenere Theorien ersetzt werden, wird daraus abgeleitet, dass keine Idee richtig sein kann und jegliche Wahrheit relativ und beliebig ist.

In seinem Buch „Wahnsinn und Gesellschaft: Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft“ – das vorgeblich eine historische Abhandlung der Psychiatrie ist – präsentiert uns Foucault eine Reihe von Ideen und Methoden, die in der Vergangenheit in der Psychiatrie angewandt wurden, sich aber dann als falsch herausstellten. Tatsächlich wäre eine heutige Anwendung dieser Methoden äußerst reaktionär. Auf dieser Grundlage versucht er, den Anspruch der Wissenschaft auf objektive Wahrheit im Allgemeinen anzugreifen.

Dies ist ein allgemeiner Trend in allen „historischen Abhandlungen“ von Foucault. Es ist, als erwarte er, dass die Wissenschaft der heilige Gral der absoluten und ewigen Wahrheit sei. Aufgrund dieser Erwartungshaltung ist er stets von dem enttäuscht, was er vorfindet und folgert, dass es notwendig sei, alle Wissenschaft und den Begriff der Wahrheit komplett zu verwerfen. Ein klassisches Strohmann-Argument. Denn in der Wissenschaft kann es nie darum gehen, die absolute Wahrheit festzulegen. Sie setzt sich ein weit bescheideneres Ziel: Schritt für Schritt die Wahrheit zu entdecken, durch die geduldige Anwendung der wirklichen wissenschaftlichen Methode: Beobachtung und Experiment.

PostmodernistInnen betrachten die Wissenschaft vorangegangener Perioden mit Verachtung. Natürlich ist es leicht, eine weniger fortgeschrittene Periode vom späteren Standpunkt aus zu kritisieren. Es offenbart eine ignorante und feige Haltung, wie ein Erwachsener, der ein Kind lächerlich macht, weil es nicht so raffiniert und selbstbewusst spricht, wie er selbst. Aber die Ideen verschiedener historischer Etappen sind nicht zufällig entstanden. Sie spiegeln die Fähigkeiten der menschlichen Gesellschaft in jeder ihrer Phasen wider und sind als solche für diesen Zeitraum absolut. Das heißt, sie sind die höchsten Wahrheiten, die die Gesellschaft zu dieser bestimmten Zeit erreichen konnte.

Die von einer bestimmten Gesellschaft entdeckten besonderen Wahrheiten werden nicht willkürlich erkannt. Es wäre für Newton unmöglich gewesen, die Quantenmechanik zu entwickeln. Die Newtonsche Mechanik ist ein notwendiges Bindeglied, das später zu den Entdeckungen der Quantenmechanik führte. Letztlich spiegelt das Denken – mit dem wissenschaftlichen Denken als dessen höchsten Ausdruck – den Entwicklungsstand der Gesellschaft ihrer jeweiligen Zeit wider. Sie entwickelt aber wiederum auch die Gesellschaft als Ganzes, so dass diese Entwicklung zu einem bestimmten Zeitpunkt selbst zum Aufkommen neuer, komplexerer und fortschrittlicherer Denkformen führt. Dies ist der nie endende Entwicklungsprozess von der Unwissenheit zur Erkenntnis; von niedrigeren zu höheren Wahrheitsformen.

Das bedeutet nicht, dass die alten Ideen als reiner Unsinn verworfen werden. Im Gegenteil, ihr rationaler Kern wird zu einem notwendigen Element für den weiteren Fortschritt der Wissenschaft. Jede Ebene der Natur, die der Mensch zu beherrschen lernt, öffnet den Weg zu einer tieferliegenden Ebene. Die Entwicklung der Newtonschen Mechanik war eine große Eroberung für die Menschheit. Es war einer der ersten großen Fortschritte, die durch den Aufstieg des Kapitalismus eingeleitet wurden und spielte eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Wissenschaft und der Gesellschaft im Allgemeinen. Aber die Wissenschaft war damit nicht zu Ende. Nach der klassischen Mechanik kam die Quantenmechanik. Die Quantenmechanik hat die klassische Mechanik nicht außer Kraft gesetzt. Im Gegenteil, sie hat sie als Voraussetzung benötigt, so wie auch die Quantenmechanik in Zukunft die Grundlage für noch größere wissenschaftliche Fortschritte bilden wird. Die Quantenmechanik wird den Boden bereiten, um über sich selbst hinausgehen zu können. Sie wird dabei bis zu einem gewissen Grad gültig bleiben, aber über sie hinaus werden höhere Theorien entstehen.

Im Gegensatz zur Vorstellung der PostmodernistInnen springt die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens nicht von einer zufälligen Theorie zur anderen, in einer unglücklichen Jagd auf eine flüchtige, ultimative Wahrheit. Es ist ein nie endender Prozess von immer tieferem Verständnis der Natur und der Gesetzmäßigkeiten, die sie beherrschen. Jede Theorie wird letztendlich durch unermüdliches Ausprobieren und Experimentieren abgetestet. Ihre zufälligen, subjektiven und falschen Elemente werden ausgesiebt, ihre Grenzen definiert und so ihr wahrer Kern der Gesamtheit menschlicher Erkenntnis hinzugefügt, um so den Weg für neue, weiterentwickeltere Ideen zu ebnen, die sie dann ersetzen.

Eine einzelne Theorie ist nicht isoliert von anderen und diesen diametral entgegengesetzt. Vielmehr bilden sie alle zusammen unterschiedliche Stadien der dialektischen Entwicklung der menschlichen Erkenntnis als Ganzes – eine unendliche Weiterentwicklung von niedrigen zu höheren Formen der Wahrheit.

„Metaerzählung“

Da die PhilosophInnen der Postmoderne den Wahrheitsbegriff ablehnen, sehen sie ihren Hauptgegner in jenen, die ihn anerkennen. Kehren wir für einen Moment zu dem Buch „Das postmoderne Wissen“ zurück, in dem Jean-Francois Lyotard versucht, die Bedeutung vom Begriff „postmodern“ zu erklären:

„Wenn dieser Metadiskurs explizit auf diese oder jene große Erzählung zurückgreift wie die Dialektik des Geistes, die Hermeneutik des Sinns, die Emanzipation des vernünftigen oder arbeitenden Subjekts, so beschließt man ‚modern‘ jene Wissenschaft zu nennen, die sich auf ihn bezieht, um sich zu legitimieren.

Bei extremer Vereinfachung hält man die Skepsis gegenüber den Metaerzählungen für ‚postmodern‘. Diese ist ohne Zweifel ein Resultat des Fortschritts der Wissenschaften; aber dieser Fortschritt setzt seinerseits diese Skepsis voraus. Dem Veralten des metanarrativen Dispositivs der Legitimation entspricht namentlich die Krise der metaphysischen Philosophie und der von ihr abhängigen universitären Institution. Die narrative Funktion verliert ihre Funktoren, den großen Heroen, die großen Gefahren, die großen Irrfahrten und das große Ziel.“[15]

Hier haben wir ein absolut unbezahlbares Beispiel für das unverständliche Kauderwelsch des Postmodernismus vor uns. Bitte bedenkt, dass Lyotard zu unserem Vorteil „bei extremer Vereinfachung“ formuliert. Das ist auch gut so, denn sonst würden wir ernsthaft Gefahr laufen, wirklich zu verstehen, was er sagen möchte: Nämlich, dass die Postmoderne alle Denkrichtungen ablehnt, die versuchen, eine zusammenhängende, kohärente Weltsicht zu entwickeln.

Die Ablehnung einer in sich geschlossenen Weltanschauung folgt logischerweise aus der Ablehnung der Existenz einer vom menschlichen Bewusstsein unabhängigen, objektiven Realität. Wenn die Existenz einer objektiven Realität und damit einer objektiven Wahrheit unabhängig von unserem Verstand geleugnet wird, dann kann es niemals allgemein gültige Theorien geben. Jedes Individuum wird seine eigenen Theorien entwickeln, die auf seine besondere Realität anwendbar sind. In einem solchen Fall würden „Meta-Erzählungen“ in der Tat auf den Formalismus und Schematismus hinauslaufen, die Gesetze meiner Welt der der anderen aufzuzwingen oder umgekehrt. Diejenigen, die sich dieses Verbrechens schuldig gemacht hätten, wären aber die PostmodernistInnen selbst.

Die Ablehnung von Metaerzählungen ist selbst die vulgärste und umfassendste Metaerzählung, die man sich nur vorstellen kann. Und sie wird uns ohne einen einzigen Beweis oder ein einziges echtes Argument vorgesetzt. Im Wesentlichen wird von uns verlangt, die postmoderne Metaerzählung einfach in blindem Vertrauen zu akzeptieren. Der Postmodernismus ist die einzig wahre Metaerzählung. Alle anderen liegen falsch, weil er das einfach behauptet. Dies ist genau die Art jenes intellektuellen Mobbings und jener „Unterdrückung“, gegen die die PostmodernistInnen so vehement protestieren. Und es ist die Grundlage für ihre hysterischen Angriffe auf jeden, der ernsthafte Einwände gegen ihre Aussagen erhebt. Die postmodernen Ideen unterscheiden sich damit nicht von irgendwelchen religiösen Dogmen.

PostmodernistInnen kritisieren den Marxismus dafür, dass er dogmatisch sei und die Einbeziehung anderer Ideen in die marxistische Theorie ablehne. Für manche Personen mag diese Kritik stimmig erscheinen. Wieso bei einer Philosophie bleiben, wenn man aus den besten Ideen, unabhängig davon, von welchem Philosophen oder welcher Denkrichtung sie entwickelt wurden, auswählen kann? Doch das ist der springende Punkt. Die PostmodernistInnen sagen eben nicht, dass wir die besten Ideen auswählen sollten. Wir erinnern uns: Es gibt keine guten oder schlechten, wahren oder falschen Ideen! Es geht nicht darum, richtige Ideen zu haben, sondern darauf zu bestehen, dass die Ideen inkohärent sein müssen. Erstmals in der Geschichte der Philosophie wird die „eklektische Bettelsuppe“, wie Engels sie nannte, zum Leitprinzip einer philosophischen Denkschule erhoben.

MarxistInnen werden auch dafür kritisiert, dass sie anderen Denkschulen gegenüber nicht „offen“ sind. Aber in Wirklichkeit ist das genaue Gegenteil der Fall! Die Damen und Herren des Postmodernismus sind besessen davon, neu und originell zu sein (was bei weitem nicht der Fall ist). Sie tun so, als ob die Geschichte mit ihnen selbst beginne und auch ende. Der Marxismus hingegen erhebt nicht den Anspruch, sich als etwas von früheren philosophischen Strömungen völlig Losgelöstes abzuheben. Wir behaupten nicht, dass die Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus allein aus dem besonderen schöpferischen Genie von Karl Marx und Friedrich Engels entsprungen seien.

Der Marxismus ist eine Synthese des rationalen Kerns aller früheren Philosophien, die jeweils auf den Fortschritt früherer Epochen aufbauen. Er bildet ein einheitliches und harmonisches Ganzes. Die marxistische Lehre enthält in sich die wertvollsten und beständigsten Bestandteile der früheren Denkschulen – der antiken griechischen Philosophie, der deutschen klassischen Philosophie, der französischen Materialisten der Aufklärung, der englischen politischen Ökonomie und der brillanten Entwürfe der früheren utopischen Sozialisten. All dies enthielt auf die eine oder andere Weise wertvolle Wahrheiten und Einsichten, die verschiedene Seiten und Aspekte derselben, einzigen objektiven Realität widerspiegelten.

Im Laufe der Jahrtausende der Entwicklungsgeschichte der Wissenschaft und des Denkens hat sich das Bild einer einzigen, wechselwirkenden materiellen Welt geformt, die nach ihren eigenen inhärenten Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen funktioniert. Dies wird jeden Tag deutlicher und bildet die Grundlage für die einheitliche Weltanschauung des Marxismus und jeder echten wissenschaftlichen Theorie. Die systematische Untersuchung dieser Gesetze auf den verschiedensten Ebenen der Natur ist der Hauptzweck jeder Wissenschaft. All dies ist den postmodernen PhilosophInnen, die sich gegen sämtliche Formen von systematischem Denken sträuben, ein Gräuel.

„Anti-Wissenschaft“

Die Ablehnung der systematischen Untersuchung und der Wissenschaft im Allgemeinen ist genau, was hinter der Ablehnung der „Metaerzählungen“ steckt. Achtet im Folgenden auf Foucaults spöttische Schimpftirade gegen „die Tyrannei der übergreifenden Diskurse mitsamt ihrer Hierarchie und sämtlichen Privilegien der theoretischen Avantgarden“[16], und weiter: „Den Machtwirkungen, wie sie einem als wissenschaftlich betrachteten Diskurs eigen sind, muss die Genealogie den Kampf ansagen.“[17]

Tatsächlich definiert Foucault seine wichtigste Methode, die „Genealogie“, nicht mehr und nicht weniger als „Anti-Wissenschaft“.

„Nicht Empirismus also durchdringt das genealogische Projekt, noch folgt aus ihm ein Positivismus im üblichen Sinn des Worts. Vielmehr geht es darum, lokale, unzusammenhängende, disqualifizierte, nicht legitimierte Wissen gegen die theoretische Einheitsinstanz ins Spiel zu bringen, die den Anspruch erhebt, sie im Namen wahrer Erkenntnis, im Namen der Rechte einer von gewissen Leuten betriebenen Wissenschaft zu filtern, zu hierarchisieren und zu ordnen. Die Genealogien sind somit nicht positivistische Rückgriffe auf eine gewissenhaftere und genauere Form der Wissenschaft. Die Genealogien sind gerade Anti-Wissenschaft.“[18]

Was ist dies anderes, als eine Kriegserklärung gegen die Wissenschaft und das rationale Denken, sowie eine Verteidigung des Obskurantismus?[19] Schlimmer noch, diese reaktionären Ideen werden als die radikalste existierende Denkweise verkauft. Die Feministin Luce Irigaray beispielsweise zeichnet sich durch ihre Ablehnung von Einsteins Relativitätstheorie aus. Sie begründet dies damit, dass die Theorie „sexistisch“ sei, vermutlich weil Albert Einstein das Pech hatte, ein Mann zu sein. Ihr Aufsatz von 1987 trägt den Titel „Le Sujet de la Science Est-il Sexué?“ (Ist das Subjekt der Wissenschaft vergeschlechtlicht?). Sich mit dieser Frage auseinandersetzend schreibt sie:

„Möglicherweise ist es das. Stellen wir die Hypothese auf, dass es das insofern so ist, als es die Lichtgeschwindigkeit gegenüber anderen Geschwindigkeiten bevorzugt, die für uns lebenswichtig sind. Was mir eine mögliche Vergeschlechtlichung der Gleichung nahezulegen scheint, ist nicht unmittelbar ihre Verwendung durch Atomwaffen, sondern die Privilegierung dessen, was am schnellsten geht.“[20]

An anderer Stelle führt Irigaray ihre Schmährede gegen den bedauernswerten Einstein fort:

„Aber was bringt uns die mächtige Relativitätstheorie, außer die Errichtung der Kernkraftwerke und die Infragestellung unserer körperlichen Trägheit, jener notwendigen Bedingung des Lebens?“[21]

Nach der verworrenen Argumentation von Irigaray ist Geschwindigkeit also ein überwiegend männliches Merkmal und daher ist Einsteins „Fixierung“ auf die Geschwindigkeit in seiner Gleichung (E = mc²) „sexistisch“. Warum Männer mehr von Geschwindigkeit besessen sein sollten, als Frauen, ist ein Rätsel, das nur Irigaray klären kann. Soweit wir aber wissen, würde es Mann und Frau genau gleich schwer fallen, sich auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen.

Hier zeigt sich die irrationale wissenschaftsfeindliche Natur der Postmoderne in ihrer vollen Pracht. Die Relativitätstheorie, einer der grundlegendsten Eckpfeiler der modernen Wissenschaft, wird als „sexistisch“ angeprangert, weil ihr Urheber, Albert Einstein, ein Mann war.

Hinter der scheinbar unschuldigen Absage an „Metaerzählungen“ und „übergreifende Diskurse“, gekleidet in radikal klingende Rhetorik, betreibt der Postmodernismus weltweit eine wahrhafte Inquisition gegen Wissenschaft und Kultur. Hier wird „lokales, unzusammenhängendes, disqualifiziertes, nicht legitimiertes Wissen“ angepriesen, im Klartext: diskreditierte, mystische Ideen, die auf dem Abfallhaufen der Philosophiegeschichte herumliegen. Gleichzeitig werden die großartigsten Theorien und Köpfe der Menschheit verdammt, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sollten diese Ideen jemals im realen Leben umgesetzt werden, würde dies die vollständige Verwüstung aller Errungenschaften der Zivilisation anrichten.

Antimarxistisch

Während die Postmoderne die höchste Entwicklungsstufe der Irrationalität darstellt, ist der Marxismus die höchste Form des wissenschaftlichen Denkens. Gerade weil der Marxismus die konsequenteste und wissenschaftlichste Weltanschauung ist, zieht er den besonderen Zorn der PostmodernistInnen auf sich. Es ist interessant festzuhalten, dass Foucaults Haupteinwand gegen den Marxismus gerade darin besteht, dass er wissenschaftlich ist. Um mit Foucaults Worten zu sprechen:

„Wenn wir etwas gegen den Marxismus einzuwenden haben, dann eben dies, dass er wirklich eine Wissenschaft sein könnte.“[22]

An einer anderen Stelle im selben Text schreibt er:

„Ob diese Institutionalisierung des wissenschaftlichen Diskurses in einer Universität oder, allgemeiner, in einem theoretisch-kommerziellen Netz wie der Psychoanalyse oder in einem politischen Apparat sich verkörpert, mit all ihren Seitenlinien, wie im Falle des Marxismus, ist im Grunde genommen von nachrangiger Bedeutung. Den Machtwirkungen, wie sie einem als wissenschaftlich betrachteten Diskurs eigen sind, muss die Genealogie den Kampf ansagen.“ [23]

Hier entlarvt sich der Postmodernismus als eine wissenschaftsfeindliche und konterrevolutionäre Ideologie, die dem Marxismus auf das fundamentalste entgegengesetzt ist. Manchmal wird die Meinung vertreten, dass man postmoderne und marxistische Ideen miteinander verbinden soll. Doch diese zwei Denkschulen sind grundlegend miteinander unvereinbar. Foucault erkennt dies an, wenn er schreibt:

„Nicht, dass diese umfassenden und globalen Theorien nicht ziemlich konstant lokal einsetzbare Instrumente geliefert hätten und immer noch liefern: Marxismus und Psychoanalyse sind nur dazu da, dies zu beweisen. Aber sie haben diese lokal einsetzbaren Instrumente, wie ich glaube, nur unter der Bedingung bereitgestellt, dass die theoretische Einheit des Diskurses gleichsam aufgehoben oder jedenfalls unterteilt, hin und her gezerrt, zerfetzt, umgedreht, verschoben, karikiert, ausgespielt, theatralisiert usw. werde. In jedem Fall hat jede Wiederaufnahme sogar in Kategorien die Totalität [zu denken] in Wirklichkeit zu einem Bremseffekt geführt.“[24]

Marxismus und Postmodernismus sind nur auf Kosten der „theoretischen Einheitlichkeit“ des Marxismus miteinander in Einklang zu bringen, also wenn der Marxismus aufhört, eine Wissenschaft zu sein, wenn der Marxismus aufhört, wahr zu sein und wenn er aufhört, materialistisch zu sein ... Anders formuliert: Postmoderne und Marxismus sind nur vereinbar, wenn der Marxismus aufhört, Marxismus zu sein.

Der Marxismus steht in unversöhnlicher Opposition zum Postmodernismus. Wir sind MaterialistInnen und stehen fest auf der Grundlage der objektiven Wahrheit und der Wissenschaftlichkeit. Wir sind von der Existenz einer einzigen, zusammenhängenden materiellen Welt überzeugt, die schon immer existiert hat und weder die Schöpfung eines Gottes, noch der „Macht“ von Monsieur Foucault ist. Das Leben ist ein Produkt der materiellen Welt und der Mensch ist seine höchstentwickelte Lebensform. Durch unsere Tätigkeit sind wir in der Lage, die Naturgesetze zu entdecken und zu unserem Vorteil zu nutzen, wiewohl auch die menschliche Spezies den Naturgesetzen unterliegt, gestalten wir unsere Umwelt und wir verändern uns dabei auch selbst.

Eine konsequente, materialistische Erkenntnistheorie vertritt, dass Wissen letztlich aus Sinneserfahrungen abgeleitet wird. Unsere Sinne sind keine Barrieren, sondern vielmehr Brücken zur Außenwelt. Warum sollten unsere Sinne sonst unser Hirn mit genau jener, und nicht mit einer beliebigen anderen Information versorgen? Wir ändern die Welt nicht, indem wir die Sprache oder unsere Denkweise verändern. Die Wahrheit lässt sich nicht im „Text“ oder im „Diskurs“ finden, sondern in der realen, materiellen Welt. Wir können die Welt auf bestimmte Weisen verändern und unsere Sinne vermitteln uns, ob wir erfolgreich waren. Durch die Interaktion mit der Welt entdecken, testen und perfektionieren wir unsere Ideen und verleihen ihnen letztendlich objektive Gültigkeit.

Das sind die Grundsätze der Wissenschaft. Sich von ihnen zu entfernen, bedeutet, den Weg der Religion und Mystik zu betreten. Die PostmodernistInnen haben die Wissenschaftlichkeit über Bord geworfen und führen auch einen aktiven Kampf gegen das Wesen der Wissenschaft selbst. Die Tatsache, dass diese reaktionären Ideen an den Universitäten, Schulen und über die Medien auf der ganzen Welt auf und ab gepredigt werden, zeigt, wie kaputt der Kapitalismus heute ist. Die Existenz dieses Systems ist mit den Interessen der überwiegenden Mehrheit der Menschheit nicht mehr vereinbar.

Die Ablehnung der Existenz einer objektiven Realität und objektiver Wahrheit dient letztendlich der Behübschung und der ideologischen Verteidigung des Status quo. Wenn Fortschritt unmöglich ist, ist es auch zwecklos, bewusst eine bessere Gesellschaft anzustreben. Und wenn es keine objektive Wahrheit gibt, können wir nicht sagen, dass Ausbeutung, Armut, Unterdrückung und Krieg „schlecht“ sind – es ist alles nur eine Frage der Perspektive. Die VerfechterInnen der Postmoderne enden so als ApologetInnen des Kapitalismus. Eine wahrhaft revolutionäre Philosophie kann nur eine durch und durch wissenschaftliche und materialistische Philosophie sein, die der Realität direkt ins Gesicht sieht. Nur das klarste und genaueste Verständnis der Gesetzmäßigkeiten von Natur und Gesellschaft kann einen Weg aus der Sackgasse des Kapitalismus und der Klassengesellschaft aufzeigen.

In den Worten von Karl Marx, der das endgültige und vernichtende Urteil über die gesamte bürgerliche Philosophie gesprochen hat: Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt drauf an, sie zu verändern.


[1] Jean-François Lyotard (1978): Bemerkungen über die Wiederkehr und das Kapital, in: Intensitäten. Merve Verlag, Berlin, S. 32.

[2] Jean Baudrillard (1990): Cool Memories 1980-1985. Verso, London, S. 67 – eigene Übersetzung.

[3] Gilles Deleuze und Felix Guattari (1974): Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I. SuhrkampVerlag, Frankfurt a. M., S. 10.

[4] Michel Foucault (1981): Theatrum Philosophicum, in: Schriften in vier Bänden: Band 2: 1970– 1975. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., S. 122.

[5] Jean-François Lyotard (1979): Das postmoderneWissen: Ein Bericht. Passagen Verlag, Wien, S. 24.

[6] Michel Foucault (1977): Prison Talk: an interview, in: Radical Philosophy, Vol. 16. Group, London, S. 14 - eigene Übersetzung.

[7] Judith Butler (1990): Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity. Routledge, New York/London, S. xviii – eigene Übersetzung.

[8] Butler verwendet den mehrdeutigen Begriff „Intelligibilität“, was eigentlich das nur durch Vernunft Erfassbare bezeichnet; Anm. d. Ü.

[9] Jacques Derrida: Grammatologie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., S. 274.

[10] Judith Butler (1993): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin Verlag, Berlin, S. 33f.

[11] George Berkeley (1710/1979): Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis. Meiner Verlag, Hamburg, S. 27.

[12] Michel Foucault (1980): Power/Knowledge: Selected Intervies & Other Writings 1972 – 1977. Pantheon Books, New York, S. 83 – eigene Übersetzung.

[13] Michel Foucault (1981): Theatrum Philosophicum, S. 117.

[14] Karl Marx: Thesen über Feuerbach, in: MEW Bd. 3, Dietz Verlag, Berlin, 1969, S. 533f.

[15] Jean-François Lyotard (1979): Das postmoderne Wissen: Ein Bericht. Passagen Verlag, Wien, S.23f.

[16] Michel Foucault (1976/2001): In Verteidigung der Gesellschaft: Vorlesungen am Collège de France (1975 – 76). Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M., S. 23.

[17] Ebd. S. 24.
[18] Ebd. S. 23.

[19] Bestrebung die Menschen unwissend zu haltenund im Glauben an Übernatürliches zu erziehen;Anm. d. Ü.

[20] Luce Irigaray & Carol Mastrangelo Bové(1987): Le Sujet de la Science Est-ll Sexué?/Is the Subject of Science Sexed?, in: Feminism & Sciene.Vol. 2. No. 3. Cambridge University Press, Cambridge, S. 65 – 87 – eigene Übersetzung.

[21] Ebd.

[22] Michel Foucault (1976/2001): In Verteidigung der Gesellschaft, S. 24.

[23] Ebd.

[24] Ebd. S. 20.

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